Management 4.0 - Den digitalen Wandel erfolgreich meistern - Das Kursbuch für Führungskräfte

Thomas Breyer-Mayländer

Management 4.0 - Den digitalen Wandel erfolgreich meistern

Das Kursbuch für Führungskräfte

2016

408 Seiten

Format: PDF, ePUB, Online Lesen

E-Book: €  35,99

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ISBN: 9783446451704

 

1 Die Ära der digitalen Disruption

Dieses Buch befasst sich mit den neuen Anforderungen an ein erfolgreiches Management von Organisationen in digitalen Umgebungen. Um hier klare Antworten geben zu können, lohnt es sich zunächst einmal das Themenfeld der Digitalisierung in der gebotenen Kürze zu beschreiben und zu analysieren. An der Stelle werden Sie vielleicht einwenden, dass das ein allgemein gängiger und verständlicher Begriff ist, den auch nahezu jeder immer wieder verwendet. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass gerade bei den scheinbar klaren alltäglichen Begriffen im Detail oft ein sehr unterschiedliches Verständnis vorliegt, was in der praktischen Konsequenz häufig zu Missverständnissen führt.

Was bedeutet Digitalisierung?

Bei der Digitalisierung handelt es sich um ein eher altes technologisches Phänomen, nämlich die Umsetzung von kontinuierlichen Signalen der analogen Welt in eine Codierung, wo wir mit dem Morsealphabet oder der Blindenschrift bereits im 19. Jahrhundert erste Erscheinungsformen der Codierung vorfinden, die dann mit dem Binärcode und der Umsetzung in die digitale Computerwelt in der zweiten Hälfte des vorausgehenden Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen hatte.

Zu Beginn der Digitaltechnik hat dieser Wandel in vielen Anwendungsbereichen lediglich die Veränderung der Prozesstechnologie betroffen und sich damit nicht zwingend auf die Ebene der Produkte ausgewirkt. Eine gedruckte Zeitschrift, die erstmalig in einer volldigitalisierten Vorstufe hergestellt wurde, unterschied sich nicht von einem Print-Magazin, bei dem ausbelichtete Filme in konventioneller Bogenmontage zusammengefügt wurden, um daraus die Offsetdruckplatten herzustellen. Weder die Produktebene noch die Lebenswelt der Kunden war dadurch betroffen. Es würde somit auch keinen Grund geben, daraus eine tiefgreifende Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft abzuleiten, wenn sich aus dem Phänomen der Digitalisierung nicht inzwischen etwas sehr viel Komplexeres ergeben hätte.

„Aber Digitalisierung im Verständnis der letzten zehn Jahre ist mehr. Im Fokus des Digitalisierungshypes steht nicht etwa die Übertragung von analoger Information auf ein digitales Medium. Vielmehr geht es um die Übertragung des Menschen und seiner Lebens- sowie Arbeitswelten auf eine digitale Ebene. Menschen brechen aus der lokalen Offline-Welt aus und wollen omnipräsent, vernetzt und always-on sein. Sie verstehen sich selbst als Individuen in der immer gegenwärtigen Sphäre der Digital Community.“ (Hamidian/Kraijo 2013, S. 5)

Wen betrifft die Digitalisierung?

In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre waren es vor allem Verlage und andere Unternehmen der Medienindustrie, die sich mit der Digitalisierung befassten, da erstmals Produkte, Vertriebsstrukturen und damit komplette Märkte und Marktsegmente in Bewegung gerieten. Zahlreiche Branchenvertreter sahen sich in dieser Zeit und auch noch nach der Jahrtausendwende in einer Opferrolle; wurde man nach eigenem Empfinden von der unfairen Entwicklung der digitalen Medien voll erwischt. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer hat diese Haltung kritisiert, als er darauf hinwies, dass nicht nur die Medienbranche von der Digitalisierung betroffen sei, sondern auch andere Branchen, wie beispielsweise die Autobranche wegen neuer Mobilitätskonzepte. Damit wandelt sich der Blickwinkel von der Rolle als Opfer der Digitalisierung zum Pionier einer neuen Entwicklung (Döpfner 2010, S. 180).

Inzwischen sind nicht nur die Menschen weltweit durch digitale und mobile Dienste und Endgeräte miteinander verbunden und damit sowohl in Freizeit- und Arbeitswelt gleichermaßen von der Digitalisierung beeinflusst, sondern auch Geräte und Gegenstände sind mit mehr oder weniger viel Intelligenz und Vernetzungsfähigkeit ausgestattet. Dies reicht vom RFID-Chip (RFID = Radio-Frequency Identifikation) in einem neu gekauften T-Shirt bis zum intelligenten Toaster, der sich automatisch abschaltet, wenn niemand mehr zu Hause ist und das Haus auf alarmgesichert geschaltet wird. Diese Möglichkeit der Vernetzung von Gegenständen und Maschinen ist als das „Internet der Dinge“ (Internet of Things, IoT) von entscheidender Bedeutung für die künftige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, da es eine Grundlage für die weitere Vernetzung von Produktions-, Logistik- und Kommunikationssystemen darstellt (vgl. Bullinger 2006, S. 72).

„Sensoren 'helfen' den Dingen, auszudrücken, in welchem Zustand sie sind und verbundene und andere Dinge finden daraufhin durch die vom Menschen zuvor implantierte Software die passenden Antworten.“ (Eggert 2014, S. 7)

Wenn man die Diskussionen über Industrie 4.0 und das Internet der Dinge verfolgt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass das alles eine amerikanische Erfindung sei, die irgendwann nach 2010 auf uns zugekommen ist. Hans-Jörg Bullinger hat jedoch gemeinsam mit Michael ten Hompel bereits 2007 ein Buch herausgegeben, das auf 440 Seiten unterschiedliche Aspekte des Themas „Internet der Dinge“ untersucht (vgl. Bullinger/ten Hompel 2007). Im Rahmen der Entwicklungen rund um das Internet der Dinge gilt es auch, die gesellschaftlichen und rechtlichen Folgen im Blick zu behalten. Die Deutsche Telekom hat beispielsweise zu Beginn des Jahres 2016 eigene Datenschutzleitsätze vorgelegt, die dazu beitragen sollen, mehr Rechtssicherheit beim Internet der Dinge zu gewährleisten (vgl. Schulzki-Haddouti 2016). Insgesamt ist der Fokus der allgegenwärtigen Digitalisierung von Wirtschafts- und Lebensbereichen sehr breit zu wählen, denn sehr viele, wenn nicht gar alle gesellschaftlichen Bereiche sind von dieser Entwicklung betroffen oder werden künftig davon betroffen sein.

Dabei muss man berücksichtigen, dass dieses Phänomen globaler Natur ist. Eine kleine Begebenheit aus dem Jahr 2015 mag das illustrieren. Eine deutsche Schule hatte beschlossen, universell Tablets im Unterricht einzusetzen. Im Englischkurs fand beispielsweise eine Skype-Konferenz mit einer indischen Partnerschule statt, was den Schülerinnen und Schülern sehr viel Spaß bereitete und sie zu großen Anstrengungen im Bereich englischer Sprachpraxis motivierte. Schließlich konnten sie den indischen Schülerinnen und Schülern ihre Schule zeigen und im Gegenzug etwas über deren Arbeits- und Lebensumgebung in Indien erfahren. Dabei stellte sich heraus, dass die deutsche Schule aufgrund ihrer Ausnahmeausstattung mit Tablets zwar die bessere Hardware hatte, in der indischen Schule und dem kleinen Ort in Indien jedoch flächendeckendes WLAN selbstverständlich war, wohingegen die deutschen Schüler/-innen sich genau überlegen mussten, welchen Flur sie in ihrer Schule auswählten, um nicht die Verbindung zu gefährden.

Die unterschiedlichen Auswirkungen dieser neuen Alltags- und Querschnittstechnologie und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen für Unternehmertum und Unternehmensführung stehen im Zentrum der gegenwärtigen Debatte. Gerade in Bezug auf die in Deutschland nach wie vor sehr prägenden Branchen der Industrie, insbesondere auch die Automobilindustrie, zeigen sich die unterschiedlichen Haltungen und Ansätze, die sich im internationalen Rahmen gegenüber den digitalen Veränderungen entwickelt haben. Wir haben auf der einen Seite die in den USA rund um das Silicon Valley entstandenen Managementmethoden der Lean-Startup-Bewegung, des Design Thinking und der Diskussion über neue Geschäftsmodelle. Parallel dazu gibt es in Deutschland die auf der deutschen Industrietradition beruhende Entwicklung, die ausgehend von den Modellen der „fraktalen Fabrik“ (vgl. Warnecke 1992) über die Stationen der zunächst automatisierten und später dann vernetzten Fabrik zum Leitbild der smarten Fabrik mit dem Leitmotiv „Industrie 4.0“ führte.

Der Begriff Industrie 4.0 wurde zunächst durch die „Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft ? Wissenschaft der Bundesregierung“ geprägt, die am 25. Januar 2011 in ihren Handlungsempfehlungen das Zukunftsprojekt „Industrie 4.0“ vorgeschlagen hatte (vgl. Kagermann/Lukas/Wahlster 2011). Ziel der Aktion war es, in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die Weiterentwicklung der Industrie zu einer smarten, vernetzten Industrie in Gang zu setzen. Auf der Hannover Messe wurde diese Idee 2013 dann nochmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. In der Übertragung gibt es einige sehr klare Deutungen dieser Entwicklung:

„Was immer man digitalisieren kann, wird man auch digitalisieren.“ (Malik 2015, S. 63)

Einige sehen bereits in dieser Aussage eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung. Als ich im Februar 2016 eine Veranstaltung zum digitalen Wandel in der Zeitungsbranche moderierte, brachte Thomas Bendig, Geschäftsführer des Fraunhofer-Verbunds IUK-Technologie, den Gegenentwurf auf den Punkt: „Alles wird digitalisiert.“ (vgl. Bendig 2016)

Bild 1.1 Die Verbreitung von Schlüsselbegriffen des digitalen Wandels (Quelle: Google-Trends, Stand: 25.11.2015)

Die unterschiedliche Verbreitung der Begrifflichkeiten, die für die digitale Veränderung stehen, lassen sich sehr gut mit „Google Trends“ nachvollziehen (Bild 1.1). Dieses Tool gestattet eine Suchabfrage sortiert nach Suchbegriffen und liefert eine numerische oder grafische Auswertung über den Gebrauch einzelner Suchworte. Wir sehen, dass die digitale Wende (digital turn) schon vor 2005 ein Thema war, während die digitale Transformation (digital transformation) nach einem kurzen Aufflackern im Jahr 2007 erst ab 2009 ein Thema für Suchende bei Google darstellte. In der Folgezeit erreicht im Jahr 2015 die digitale Wende das gleiche...

 

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