True Leadership - Führung in Extremsituationen

Ingo Hamm, Wolf-Bertram von Bismarck

True Leadership

Führung in Extremsituationen

2020

344 Seiten

Format: PDF, ePUB

E-Book: €  34,99

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ISBN: 9783446467163

 

2 Von 100 % auf 120 % – Führen in Hochleistungsbereichen

Spitzensport Fußball – ein Fußballtrainer berichtet

Auf hoher See – Silke Eggert, Skipperin

Einen Haufen Profis bändigen – Christian Gansch, Dirigent und Musikproduzent

Eis oder Sturm? – Arved Fuchs, Abenteurer

Spitzensport Fußball – ein Fußballtrainer berichtet1


Die Fußballbundesliga


Führung ist ein zentrales, wenn nicht entscheidendes Thema im Milliardengeschäft Fußball. Können wir, was Führung anbelangt, vom Spitzensport Fußball lernen?

Nein, das können wir nicht nur, das müssten wir sogar – sofern uns Vorurteile nicht davon abhalten, zum Beispiel: »Wenn der Trainer am Spielfeldrand rumbrüllt, zählt das dann als Führung?« Wer sich von solchen Vorurteilen nicht abhalten lässt, für den liegt auf der Hand: Von einer Branche, in der es um publikumsträchtigen Erfolg und um Millionensummen geht, kann man immer etwas lernen, wie wir im Folgenden sehen werden.

Basis der folgenden Ausführungen sind mehrere Gespräche mit einem U19-Bundesligatrainer eines renommierten Deutschen Fußballklubs. Der Trainer hat auch bereits die Mannschaft der aktiven Bundesligaprofis als Interimstrainer gecoacht und möchte aus verständlichen Gründen (auf höchster Ebene ist Profifußball immer noch eine eher geschlossene Gesellschaft) nicht namentlich genannt werden.

Führung durch Trainer und Kapitän


Der Trainer als Führungskraft im Profisport wird von der Sportberichterstattung gerne als »Stratege am Spielfeldrand« bezeichnet. Doch während des Spiels führt nicht der Trainer, sondern der Mannschaftskapitän. Dieser ist »die Leitfigur auf dem Platz«, wie unser Gesprächspartner es formuliert.

Als Leitfigur hat er verschiedene Aufgaben, zum Beispiel die Seitenwahl vor Spielbeginn. Der Kapitän ist auch der Einzige aus der Mannschaft, der offiziell mit dem Referee kommunizieren darf. Die in der »Sportschau« häufig zu beobachtenden publikumswirksamen Meckereien anderer Spieler in Richtung Schiedsrichter finden damit praktisch immer am Rande einer Gelben Karte statt.

Obligation to Dissent – Selbstverpflichtung zum Widerspruch: konstruktive Kritik wird ausdrücklich gewünscht!

Der Kapitän ist für die Kommunikation der Mannschaft mit dem Trainer verantwortlich, doch er entscheidet zum Beispiel nicht über die Positionstaktik, stellt also nicht selbständig beispielsweise von Vierer- auf Fünferkette um. Er bremst aber gelegentlich den Trainer, wenn dieser die Mannschaft zu missverstehen oder zu überfordern droht. In der Wirtschaft kennen wir das als Obligation to Dissent, als Selbstverpflichtung zum Widerspruch, falls sachlich gegeben.

Das übersehene Organ der Führung


Es gibt ein wenig bekanntes Führungsorgan im Profifußball; den Mannschaftsrat. Er besteht aus fünf Spielern, die der Trainer vorschlägt, die also nicht in einem basisdemokratischen Prozess nominiert werden. Die eigentliche Wahl durch die Mannschaftsmitglieder dient nur noch der Schärfung und dem Feedback für den Trainer. Wie wir aus Studienergebnissen wissen, interpretieren Mitarbeiter solch ein eher direktives Vorgehen im Allgemeinen nicht als Manko: Sie erwarten in erster Linie Führung und keine Basisdemokratie.

Der Mannschaftsrat – ein wenig bekanntes Führungsorgan.

Der Mannschaftsrat vertritt die Belange der Mannschaft gegenüber Vereinsführung und Trainer. Der Trainer bestimmt die Kandidaten für diesen Rat in der Regel nicht diktatorisch, sondern fragt sein Team: Wer soll euch vertreten? Könnt ihr mit den ausgewählten Kandidaten einverstanden sein? Für den Trainer ist der Mannschaftsrat auch ein Instrument des Nachfolgemanagements: »So können vielversprechende Spieler in die Rolle des späteren Führungsspielers hineinwachsen«, erklärt unser Gesprächspartner. Ein Pendant zum Mannschaftsrat in der Wirtschaft ist eine Überlegung wert: Hier könnten sich Nachwuchsführungskräfte als Sprachrohr der Abteilungsmitarbeiter zu jenen »Führungsspielern« entwickeln, die sie später einmal werden sollen/wollen.

Das Trainer-Selbstbild


Die Öffentlichkeit sieht Profifußballtrainer oft als die »Strategen an der Magnettafel«, vergleichbar mit dem Etikett des »Wirtschaftskapitäns«, das Führungskräften der Wirtschaft von der Öffentlichkeit verliehen wird. Nicht selten weicht dieses Fremdbild jedoch stark vom Selbstbild der Führungskräfte und Trainer ab.

Der Profitrainer, den wir zum Thema befragten, sieht sich zum Beispiel hauptsächlich als Vorbild und als Personalentwickler seiner Spieler: Er möchte seine jugendlichen Spieler besser machen. Um so viel besser, dass sie den Sprung ins Profigeschäft schaffen. Beim Erwerb der dafür nötigen professionellen Berufseinstellung in allen Belangen auf und neben dem Platz ist er ihnen Vorbild.

Der Trainer ist nicht »Best Buddy«.

Damit reicht sein Selbstverständnis in Sachen Führung weit über das jedes normalen Vorgesetzten in der Wirtschaft hinaus. Kein Vorgesetzter versteht sich »abseits des Platzes«, also abseits des Arbeitsplatzes als Vorbild seiner Mitarbeiter. Dabei greift der Trainer nicht in das Privatleben seiner Spieler ein, ist nicht »Best Buddy«, sondern – im Gegenteil – wahrt die professionelle Distanz zum Privaten. Aber er erfasst weitgehend die wichtigen, privaten Begleitumstände der angehenden Profis, um Diskrepanzen oder tief greifende Entwicklungsprobleme frühzeitig aufzudecken.

Führen mit klarer Strategie


Die U19 des interviewten Trainers erhält am Beginn jeder Saison einen strategischen Oberbegriff: Von »Fleiß« über »Leidenschaft« bis »Emotion« oder auch »Wir sind das Überraschungsteam der Saison!« reicht die Palette der möglichen Leitworte für die Saison.

Wie alle gut gewählten Formulierungen oder Schlagworte begeistern auch diese programmatischen Saison-Ansagen. Doch der erfahrene Fußballtrainer weiß, dass seine Spieler, nachdem die erste Begeisterung abgeklungen ist, mit so einer strategischen Vorgabe nicht unbedingt viel anfangen können.

»Wir wissen, welche Spielweise unsere Gegner von uns erwarten. Aber diesen Gefallen tun wir ihnen nicht.«

Also überzeugt der Trainer sein Team mit den nötigen Fakten als nachvollziehbare Begründung der gewählten Strategie; zum Beispiel: »Wir wissen, welche Spielweise unsere Gegner von uns erwarten. Aber diesen Gefallen tun wir ihnen nicht. Wir lassen uns nicht ausrechnen. Wir überraschen unsere Gegner!«

Selbst nach dieser Erläuterung der Strategie kann ein Trainer nicht voraussetzen, dass seine Spieler wissen, was sie mit dieser strategischen Vorgabe nun auf dem Platz anfangen, wie sie konkret spielen sollen. Also setzt der Trainer die Strategie nicht nur, er übersetzt sie auch gleich, indem er ganz konkret und pragmatisch erläutert: »In dieser Spielsituation machen wir also Folgendes und in jener Situation machen wir dieses.«

Das leuchtet ein, ist aber selbst im Profifußball keine Selbstverständlichkeit. Immer wieder sind in Fachkreisen Äußerungen von Profifußballern zu hören, die sich darüber beklagen, dass der Trainer die Mannschaft »nicht mehr erreicht«, weil er strategische Vorgaben wie »Nach vorne spielen!« ausgibt, ohne im Detail zu klären, was das für die einzelnen Positionen in jeder denkbaren Spielsituation bedeutet. Und dies oft mit der Begründung: »Ich setze voraus, dass das ein Profispieler weiß!« Diese Illusion verbindet manche Trainer mit manchen Vorgesetzten in der Wirtschaft.

Führen als Fürsorge


Wenn prominente Profitrainer am Spielfeldrand auf und ab toben, diskutieren die Medien gern die Angemessenheit des Auftritts – selten dessen Sinn und Zweck, der so gut wie unbekannt sein dürfte.

Unser Gesprächspartner erklärt, warum er während eines Spiels enorm viel und lautstark in Richtung Schiedsrichter kommuniziert, kritisiert, fordert, zuweilen aggressiv, aber nie ausfallend: »Damit mein Team und auch der Gegner mitbekommt: Der Trainer macht alles, damit uns im Spiel Gerechtigkeit widerfährt. Der kümmert sich um uns.« Wir stellen uns vor, wie begeisternd die Wirkung auf eine Abteilung, einen Bereich oder ein Projektteam in der Wirtschaft...

 

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