Mein wundervolles Genom - Ein Selbstversuch im Zeitalter der persönlichen Genforschung

Lone Frank

Mein wundervolles Genom

Ein Selbstversuch im Zeitalter der persönlichen Genforschung

2011

171 Seiten

Format: PDF, ePUB, Online Lesen

E-Book: €  15,99

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ISBN: 9783446430297

 

6 Persönlichkeit ist ein Wort mit vier Buchstaben (S. 176-177)

Man bestimmt sich im Verlauf seines Lebens. Sich ganz kennen heißt sterben.
Albert Camus


»Wir testen auf zwölf Gene. Deshalb müssen wir so viele Röhrchen füllen. Und noch zwei zusätzlich zur Gegenkontrolle.« Die junge Ärztin legt etliche Röhrchen auf den Tisch und macht sich auf die Suche nach der richtigen Nadel für die Blutabnahme. Wir kennen uns bereits von einer früheren Gelegenheit. Diesmal trägt sie nicht den kecken Pferdeschwanz, aber es ist dieselbe Ärztin, die mich im Rahmen eines Forschungsprojekts zu Persönlichkeit, Depression und Genen damals bereits zu meinen nächsten Verwandten – ihrem Verhältnis zu Alkohol und ihren psychischen Erkrankungen – befragt hat. Nun sitzen wir uns wieder im Untergeschoss der Universitätsklinik von Kopenhagen gegenüber und wollen uns die genetische Seite bestimmter Dinge anschauen. Im Haus wird groß renoviert, deshalb hocken wir an einem kleinen Kaffeetisch, der einfach auf den Flur gestellt wurde, mitten im Chaos des Umbaus.

»Sie haben richtig gute Venen«, sagt sie anerkennend. Die leicht angeschwollenen blauen Gefäße an meinem linken Arm drängen sich der Nadel förmlich entgegen. Trotzdem schafft sie es irgendwie, dass nur ganz wenig Blut ins erste Röhrchen tropft. Sie versucht den Blutfluss zu verbessern, indem sie die Nadel vor und zurück schiebt – vergebens, es tut nur weh. »Versuchen wir es am anderen Arm«, meint sie. Das gleiche Ergebnis. Sieben Jahre Ausbildung, denke ich, und was lernen sie da?

Aber ich sage nichts. Schließlich habe ich es selbst so gewollt, ich habe mich als Versuchskaninchen zur Verfügung gestellt. Der Deal mit den Forschern vom Center for Integrated Molecular Brain Imaging (Zentrum für Integriertes Molekulares Gehirn-Imaging) ist klar: Sie bekommen einen Haufen ausgefüllte Fragebögen und jede Menge Blut von mir, als Gegenleistung darf ich die Ergebnisse meiner Gentests mit der Leiterin des Zentrums, Gitte Moos Knudsen, diskutieren.

Ich konnte ihr dieses Entgegenkommen abringen, weil wir von derselben Sache fasziniert sind. Uns beide interessiert »wie verrückt, was individuelle Unterschiede im Verhalten und in der Persönlichkeit bewirkt«, wie sie sagt. Aber was genau ist die Persönlichkeit? An dieser Stelle muss man das molekulare Reich verlassen und sich der Psychologie zuwenden, wo die Persönlichkeitsforschung traditionell angesiedelt ist. Im Vergleich zu Molekülen und Neurotransmittern, die aus Atomen und chemischen Stoffen bestehen, erscheint die Persönlichkeit eigenartig und ätherisch. Wir haben eine intuitive Vorstellung, was Persönlichkeit ist, aber es ist schwierig, eine klare, knackige Formulierung dafür zu finden.

Vielleicht beschreiben Sie einen Freund als hilfsbereit, geduldig und ein bisschen introvertiert oder sich selbst als klug, großzügig und gesellig. Aber der Versuch, das Phänomen Persönlichkeit in eine Definition zu pressen, ist ein bisschen so, als würde man Sand in ein Sieb schaufeln. Was in der Welt misst man da? Wird die Persönlichkeit dem Menschen fix und fertig mitgegeben oder bildet und formt sie sich durch die Erfahrungen des Lebens? Und wenn Letzteres stimmt, was formt sie dann – das Handeln der Eltern, im Guten wie im Schlechten? Die unzähligen kleinen Taten, die sich im Lauf eines Lebens ansammeln?

 

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