Jeder Kunde zählt - Kundenzentrierung einfach umsetzen. Das Workbook

Dana Arzani

Jeder Kunde zählt

Kundenzentrierung einfach umsetzen. Das Workbook

2019

224 Seiten

Format: PDF, ePUB

E-Book: €  39,99

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ISBN: 9783446459564

 

1.2 DIE KUNDEN HEUTE – UNTERSCHIEDLICH UND DOCH GLEICH

Felix kauft Biolebensmittel beim Discounter um die Ecke, das günstige Toilettenpapier im Drogeriemarkt über deren Onlineshop im Abo, zusammen mit den Premiumwindeln für die Tochter. Das ist am einfachsten und so ist immer ein Vorrat im Haus. Wer will sich schon um Toilettenpapier oder Windeln kümmern?

Das Geburtstagsgeschenk für seine Frau Lisa kaufte er in ihrer Lieblingsboutique in der Stadt. Er wusste, was sie sich wünschte, denn sie hatte ihm ein Instagram-Foto des Kleides gezeigt. Mehrmals. Und sie hatte ihm das Foto per Direktnachricht geschickt. Über das Foto hatte er dann auch gleich bestellt, er musste das Kleid nur noch in der Boutique abholen. Beim Abholen entdeckte er noch ein Tuch mit gelben Sternen, das wunderbar zu dem Wunschkleid seiner Frau passte. Die Sonne schien, Felix hatte gute Laune, die Verkäuferin war nett. Also ließ er das Tuch auch gleich noch als Geschenk verpacken. Und dann war da noch die Heizung. Ja, die müsste auch bald erneuert werden. Dafür hörte er sich schon mal im Bekanntenkreis um, wer denn eine gute Firma empfehlen konnte. Angebote dafür würde er sich auch noch einholen, drei auf jeden Fall bei einer Investition in dieser Größenordnung. Auswählen wird er jedoch weder das günstigste noch das teuerste.

Sein großer persönlicher Wunsch war eine Drohne, dazu recherchierte er im Internet schon seit Längerem nach diversen Modellen und deren Einsatzfähigkeit. Er war bereits gut informiert, wollte sich aber mit dem Kauf noch Zeit lassen, bis er das Heizungsthema geklärt hatte. Dann sollte es aber die beste Drohne sein, die derzeit auf dem Markt war. Notfalls würde er damit auch noch bis zu seinem nächsten Bonus warten.

FELIX – EIN KUNDE VON HEUTE


All das macht Felix zu einem typischen Kunden von heute. Er kauft multioptional über verschiedene Kanäle: beim Laden um die Ecke genauso wie über Online-Shopping. Und manchmal in einer Kombination aus beidem – je nachdem, was gerade besser passt.

Einige Dinge kauft er aus Gewohnheit, also habituell. Bei Felix sind es Toilettenpapier und Windeln für die Tochter. Alternativen dazu interessieren ihn nicht. Sogar den Bestell- und Liefervorgang hat er automatisiert. Aus Gewohnheit kauft er auch immer Biolebensmittel beim Discounter. Hier kauft er jedoch nicht immer dieselben, sondern wählt innerhalb der Kategorie Biolebensmittel aus. Das heißt, er kauft auch limitiert. Er vergleicht eine überschaubare Anzahl an Produkten, und wenn er etwas gefunden hat, hört er auf, zu vergleichen. Sei es, weil er nicht weiter vergleichen und Zeit sparen möchte oder weil er sich auf Bekanntes und Bewährtes verlässt. Unter sein limitiertes Kaufverhalten fällt auch das Kleid zum Geburtstag seiner Frau.

Trotzdem ist Felix offen für spontane Käufe am Point of Sale. Er zeigt also auch ein impulsives Kaufverhalten. Deswegen hat er Lisas Tuch auch noch gekauft. Ab und zu stehen sogenannte echte Kaufentscheidungen an, z. B. die Heizung. Das extensive Kaufverhalten bedarf echter Überlegung, der Informationsbedarf ist groß und die Entscheidungsfindung nimmt einige Zeit in Anspruch.

Die Kunden von heute kaufen hybrid und multioptional. Sie konsumieren heute extensiv, morgen limitiert, oft habituell oder manchmal impulsiv. Dazu haben sie alles Recht der Welt und verhalten sich urmenschlich – der Kunde im Chamäleon-Kostüm. Aber wer kann das verstehen und wer will das verstehen?

Gestern oder vorgestern war alles viel einfacher. Die Kunden von heute sind viel anspruchsvoller und anstrengender, als sie es bisher waren. Woher sollen wir wissen, wie wir es ihnen recht machen können? Geschweige denn, wie wir sie begeistern können. Und wie sehr wir uns als Unternehmen auch anstrengen, am Ende geht es sowieso nur um den Preis. So oder so ähnlich denken viele Unternehmen über ihre Kunden. Entsprechend mühsam ist dann auch das Zusammenspiel von Kunden, Mitarbeitern und Unternehmen. Anstatt sich in Allgemeinplätzen zu verlieren, ist es besser, die heutigen Kunden genauer zu beleuchten und herauszufinden, was sie so besonders macht. Doch vorher lassen Sie uns noch einen Blick zurück werfen.

Wie viel besser waren die Kunden von gestern tatsächlich? Drehen wir die Zeit zurück und betrachten Felix vor der massentauglichen Verbreitung des Internets.

FELIX VON GESTERN


Felix von gestern kaufte Lebensmittel im Supermarkt in der Nähe. Dass dieser damalige Felix den Lebensmitteleinkauf höchstwahrscheinlich seiner Frau Lisa überlassen hätte, vernachlässigen wir für den Moment einmal. Genauso wie das Kaufen des günstigen Toilettenpapiers und der Premiumwindeln. Die hätte Lisa ebenfalls beim wöchentlichen Supermarkt-Großeinkauf besorgt. Nichtsdestotrotz hätte sie jedoch davon geträumt, dass sie diese lästige Aufgabe nicht erledigen müsste und der Vorrat sich von alleine in der magischen Vorratskammer auffüllen würde.

Zurück zu Felix von gestern: Das Geburtstagsgeschenk für Lisa kaufte er bei ihrem Lieblingsversandhandel aus Fürth. Er wusste, was sie sich wünschte, denn sie hat ihm die Katalogseite mit dem Kleid gezeigt. Mehrmals lag der Katalog offen auf dem Esstisch an seinem Platz. Über das Bestellformular hatte er auch gleich bestellt, per Fax im Büro. Schließlich ist Felix von gestern fortschrittlich. Das Tuch mit den Sternen hatte er jedoch nicht gefunden, denn das Blättern im Katalog des Versandhandels der unerschöpflichen Quelle langweilte ihn. Allerdings begegnete ihm das Sternentuch in Form eines Flyers mit Bestellformular, als er das Paket öffnete. Dennoch war ihm eine erneute Bestellung zu lästig, da das Fax im Büro stand, und zum Briefkasten wollte er auch nicht mehr laufen. Außerdem wäre das Tuch wahrscheinlich gar nicht mehr rechtzeitig zum Geburtstag eingetroffen. Die Heizung, ja, die müsste auch bald erneuert werden. Er kannte den Heizungsbauer vor Ort, der würde die Heizung reparieren. Angebote brauchte er nicht, schließlich kannte und vertraute man sich. Und abgesehen davon, wie sähe das denn aus, wenn er fremdgehen würde. Was würden die anderen im Ort dazu sagen? Der große persönliche Wunsch von Felix von gestern war ein Modellflugzeug. Dazu forderte er immer wieder Kataloge per Postkarte an und recherchierte bei verschiedenen Anbietern. Auch im hiesigen Spielwarenladen war er schon gewesen. Er war gut informiert. Dennoch wollte er sich mit dem Kauf noch Zeit lassen, bis er das Heizungsthema geklärt hatte. Sicher war sicher. Man wusste ja nie, ob die Rechnung vom Bekannten nicht doch noch höher würde als geplant. Dann aber sollte es das schönste Modellflugzeug sein, das es gab. Notfalls würde er damit noch bis zu seinem nächsten Weihnachtsgeld warten.

Ach ja, als er neulich im Spielwarenladen war und sich über Modellflugzeuge informiert hatte, hatte er so ein süßes Stofftier gesehen: einen Teddybären mit gelben Sternen auf dem Bauch. Ein perfektes Geschenk für seine kleine Tochter. Die Sonne schien, Felix von gestern hatte gute Laune. Der Verkäufer im Spielwarenladen war nett. Also ließ er sich den Teddybären mit den gelben Sternen als Geschenk verpacken ...

Die Kunden von gestern kauften hybrid und multioptional. Sie konsumierten extensiv, limitiert, habituell oder impulsiv.
Das war urmenschliches Verhalten im Chamäleon-Kostüm. Damals und heute.

Bei Felix von gestern bedeutete multioptional stationär, Brief und Fax. Würden wir die Zeit noch weiter zurückdrehen, dann wäre stationär gleichbedeutend mit lokal im Dorf und reitendendem Boten. Ja, das ist eine Übertreibung. Allerdings wird deutlich, was ich meine.

 

Die Art der Optionen ändert sich, die Zeitspanne der Kaufhandlungen ändert sich, doch immer schon hat der Kunde sich für den Kanal entschieden, der für ihn am schnellsten und einfachsten war.

Unternehmen, die dieses Käuferverhalten verstanden haben, haben schon immer das Geschäft gemacht.

Entweder, weil sie sich strategisch entsprechend aufgestellt haben oder zufällig, weil sie eben gerade da waren, als der Käufer etwas suchte oder wollte.

Vor hundert Jahren haben sicher auch die örtlichen Schneider gejammert, dass die neumodischen Katalogversender ihr Geschäft ruinieren, die Kunden mit Katalogbildern kommen, das Kleid geschneidert haben wollen und sich dann auch noch über den Preis beschweren – in etwa so, wie heute die lokalen Händler über den zielstrebigen Online-Händler aus Seattle schimpfen. Nur dass es eben nicht nur Kleider sind, die der amerikanische Allesverkäufer im Angebot hat, sondern nahezu das gesamte Warensortiment aus der ganzen Welt. Doch über Digitalisierung und deren Auswirkungen und Chancen für Kunden und Unternehmen sprechen wir später noch ausführlicher.

Zurückzublicken und die guten alten Zeiten von gestern zu glorifizieren, die darüber hinaus auch durch unsere kognitive Verzerrung geschönt sind, bringt nichts. Sie kommen erstens nicht wieder und waren zweitens auch nicht so toll, wie die Nostalgie uns weismachen möchte – weder für Kunden noch für Unternehmen. Nur für die Unternehmen, die die Veränderungen verschlafen haben, war es früher tatsächlich einfacher, weil die Zeitspanne der operativen Umsetzung größer war und der Informationsfluss zum Kunden einfach länger gebraucht hat.

Unsere Kunden wollen das einfachste, beste, schönste und schnellste Produkt zum besten Preis über den Verkaufskanal, der für ihre individuelle Situation in dem Moment am passendsten ist.

Die Kunst besteht darin, diesen...

 

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