Agiles Coaching - Die neue Art, Teams zum Erfolg zu führen

Judith Andresen

Agiles Coaching

Die neue Art, Teams zum Erfolg zu führen

2017

410 Seiten

Format: PDF, ePUB, Online Lesen

E-Book: €  25,99

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ISBN: 9783446452640

 

1 Digital transformieren

Wir stehen vor großen Umwälzungen -- in der Gesellschaft und in Unternehmen. Die digitale Transformation ist da. Das Internet erschien zu Zeiten der Erfindung „nur“ als ein weiterer Kommunikations- und Absatzkanal. In den 1990er-Jahren wurde das Internet in seinen revolutionären Auswirkungen noch unterschätzt. Doch schnell zeigte sich, dass die weltweite Vernetzung von Computern und eine ständige Verfügbarkeit von Informationen einen viel größeren Einfluss auf das Gesellschafts- und Wirtschaftsleben haben würden.

Heute ist offenbar: Unser Leben verändert sich dramatisch. Das Internet verändert uns radikal. Diese Veränderung greift in allen Lebensbereichen. Mit dem Internet rücken Menschen an Menschen heran. Informationen und Services finden direkt im Smartphone statt. Viele Branchen stellen nur die Vermittlung zwischen den Produzenten und den Konsumenten sicher. Vor allem diese Branchen stehen im Sturm, der durch die digitale Transformation entfacht wird. Kunden rücken näher an Firmen heran. Menschen rücken aneinander. Einzelne bekommen eine Stimme. Viele können sich im Netz finden und Dinge bewegen.

Bild 1.1 Die digitale Transformation bringt komplexe und chaotische Aufgabenstellungen (Cynefin-Framework).

Erschien die Produktentwicklung und -führung bisher kompliziert, ist sie inzwischen komplex geworden. Es gilt nicht mehr, das bestehende Produkt und die bestehende Idee weiterzuentwickeln und die Käuferschaft zu überzeugen. Es geht heute darum, echten Kundennutzen zu schaffen. Es geht darum, sich in der digitalen Transformation vollkommen neu zu erfinden. Warum sollten die Konsumenten einen komplizierten, althergebrachten Weg gehen, wenn sie eine schnelle, smarte und passende Lösung direkt nutzen können?

Um diese Lösungen zu finden, müssen Unternehmen neu denken. Sie müssen ihr bisheriges Geschäft in Frage stellen und neue Wege für sich finden. Die alten Prozesse und Vorgehensweisen reproduzieren bestehende Produkte und führen zu einer Verbesserung derselben. Mit der bisherigen Vorgehensweise und den bestehenden Strukturen ist es schwer, die Aufgabe des Unternehmens vollständig neu zu denken.

Das ist notwendig. Während dies geschieht, sind die bestehenden Produkte weiter zu pflegen. Häufig kannibalisieren sich alte Produkte und neue Ideen. Die Steuerung dieser Prozesse ist sehr komplex.

Das klassische Managementmodell setzt hier auf wenige strategische Köpfe, deren Ideen von der Belegschaft nach einem konzertierten Plan als Ziele umgesetzt werden. Die Operationalisierung der Ziele wurde in diesem Modell vom mittleren Management geleistet.

Die Herausforderungen wachsen für jedes Unternehmen weiter. Je komplexer ein Problem ist, desto unwahrscheinlicher wird es, dass ein einzelner Kopf diese Vision entwickeln und operationalisieren kann.

Komplizierte Aufgaben lassen sich nach dem Cynefin-Framework [Wikipedia 01] mit „Sense – Analyse – Respond“ beantworten. Diese Aufgabenlösung korrespondiert mit dem Führungsmodell „Command and Control“. Die Lösungsstrategie im komplexen Feld lautet „Probe – Sense – Respond“. Teams und Unternehmen sind in diesem Feld mit „Target and Track“ zu führen. „Target and Track“ fordert eine Haltung als dienende Leitung in Abkehr von einem direktiven (Micro-)Management-Stil. Die Fragen, die sich aus der digitalen Transformation ergeben, sind mindestens komplexer, wenn nicht chaotischer Natur.

„Target & Track“ löst „Command & Control“ in komplexen und chaotischen Umgebungen ab.

Damit sind sowohl das eigentliche Vorgehen als auch die Entscheidungsstruktur jenseits des klassisch-hierarchischen Vorgehens gefordert.

1.1 Produktentwicklung in den Fokus des Unternehmens stellen

Das agile Manifest stellt mit den ersten drei Prinzipien den Kundennutzen in den Vordergrund. Bereits das erste Prinzip stellt für viele Unternehmen eine Herausforderung dar:

„Our highest priority is to satisfy the customer through early and continuous delivery of valuable software.“

In Zeiten der digitalen Transformation ist „valuable software“ nicht ein weiteres Feature. Es gilt, auf den Punkt den Kundenbedarf zu erfüllen. Dieser Bedarf ist häufig nicht direkt durch die Kunden und Kundinnen formulierbar. Henry Ford wird das Zitat nachgesagt [Vlaskovits2011-01]:

„Wenn ich meine Kunden gefragt hätte, was sie brauchen, hätten sie gesagt, sie bräuchten schnellere Pferde.“

Viele Unternehmen sind erfolgreich geworden, weil sie neue Anforderungen effizient in bestehende Produkte integriert haben. Für viele Unternehmen war es eine gute Strategie, „das vom Mitbewerber, nur besser“ zu bauen. Der Markt funktioniert in Zeiten von Automatisierung und Digitalisierung anders. Täglich entstehen neue Produktideen, die Dinge, die Unternehmen nebenbei erfüllt haben, in den Mittelpunkt stellen. Nur dass diese Ideen vollkommen neu gedacht sind und häufig bestehende Produkte vollständig in Frage stellen.

Wenn ein Unternehmen darauf ausgerichtet wurde, bestehende Produkte mit einem harten Blick auf Kosten/Nutzen zu optimieren, ist die Umstellung in eine kundenzentrierte Produktentwicklung komplex. Es gilt nicht nur, die Produktentwicklung mit einer neuen Denkweise zu betreiben. Es geht auch darum, bestehende Aufteilungen im Unternehmen zu überwinden und eine neue Form der Zusammenarbeit zu finden. Produkte entwickeln sich stets weiter und verbinden sich mit Services, die sich ebenfalls ständig weiterentwickeln. Diese langlebigen, sich ständig verändernden Produkte (und Services) werden häufig mit anderen Geschäftsmodellen als in der komplizierten Welt üblich betrieben.

In vielen Fällen sind automatisierte und digitalisierte Produkte und Services als komplizierte Projekte planbar. Komplexität entsteht durch die Einführung des neuen Produkts und neuer Services sowie die Positionierung dieser Produkte und Services neben und an Stelle von bestehenden Produkten und Services.

Kundenzentrierte Produktentwicklung ist die Frage „nach dem Automobil“ der jeweiligen Branche. Viele Unternehmen wurden dahin optimiert, schnelle Pferde zu züchten und zu vermarkten. Damit stehen den Unternehmen große Veränderungen ins Haus. Der Nukleus „Kundenzentriert Produkte entwickeln“ entpuppt sich schnell als komplexe Aufgabe. Agil einzuführen, heißt in letzter Konsequenz nicht nur die Umstellung von Umsetzungsteams auf eine neue Projektmethode. Mit der Einlösung des agilen Manifests verändern sich

  • das Verständnis der Produktentwicklung,

  • die Zusammenarbeit,

  • insbesondere die Projektarbeit,

  • die Leitwerte für Qualität und Schnelligkeit oder auch

  • das Zugehörigkeitsgefühl aller Beteiligten.

Veränderungen dieser Größenordnungen sind komplex. Das Cynefin-Framework zeigt ebenso deutlich auf, warum Entscheidungen und damit Projekte auch ins Trudeln kommen. „Disorder“ zeigt an, dass eine Entscheidung nicht mit dem richtigen Verfahren getroffen wurde. Wenn ein Problem „complex“ ist, ist die Entscheidung zum Vorgehen mit „Probe – Sense – Respond“ zu treffen. Wenn diese Aufgabenstellung aber mit „Sense – Analyse – Respond“ gelöst wird, gerät das eigentliche Unterfangen in „Disorder“. Viele Teams und Unternehmen verharren in ihren althergebrachten Handlungsweisen und Strukturen. Sie versuchen, Antworten auf die komplexe Fragestellung der digitalen Transformation mit einem komplizierten Lösungsweg zu beantworten. Damit geraten die Teams und Unternehmen in „Disorder“.

Ein klassisches Vorgehen wäre es, einen großen „Change“ im Unternehmen auszurufen und ein entsprechendes Change-Projekt durchzuführen. In der klassischen Welt ergibt sich aus der Struktur des Unternehmens die Art der Zusammenarbeit in und unter den entsprechenden Bereichen. Der Versuch, die Produktentwicklung mit einem Change-Projekt in eine Kundenzentrierung zu überführen, ist zum Scheitern verurteilt. Es wäre der Versuch, ein komplexes Vorhaben mit einem klassischen Vorgehen zu beantworten. „Disorder“ ist vorprogrammiert.

Das Führungsmodell „Command and Control“ wirkt gut für offensichtliche und komplizierte Vorgänge im Cynefin-Framework.

Die Bewältigung der digitalen Transformation ist mit diesem Führungsstil in den meisten Fällen nicht möglich.

Es ist nicht zu erwarten, dass einzelne Köpfe alle richtigen, weil strategischen Entscheidungen treffen. Im klassisch-hierarchischen Modell trennt sich die Arbeit zwischen strategischen Köpfen und operativen Händen auf. Eine Mittelschicht übersetzt die Strategie in konkrete Ziele und orchestriert die Ausführung phasenweise und meistens...

 

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