Die Kunst des Fragens

Anne Brunner

Die Kunst des Fragens

2016

128 Seiten

Format: PDF, ePUB, Online Lesen

E-Book: €  12,99

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ISBN: 9783446450653

 

4 Frageprinzipien

Wissen Sie Fragen zu meinen Antworten?

Henry Kissinger

Welche andere Möglichkeit gibt es, Fragen einzuteilen? Hierbei ist es hilfreich, sich an Prinzipien zu orientieren. Prinzipien sind wie Gefäße, deren Inhalte austauschbar sind.

Die folgenden Frageprinzipien stammen aus der systemischen Paar- und Familientherapie (Simon 2015: 270 ff.). Im Mittelpunkt steht dort meist eine Störung (Symptom, Erkrankung), ein Problem, ein Konflikt oder eine Krise. Diese Prinzipien sind jedoch auch auf andere Systeme übertragbar, z.B. Interview oder beruflicher Kontext.

4.1 Allgemeine Prinzipien
4.1.1 Unterschiede erfragen

Ein Problem wird deutlich, wenn man es mit dem Idealzustand vergleicht:

  • Woran ist der beschriebene Zustand zu erkennen, an welchem Merkmal?

  • Welches Merkmal fehlt im Vergleich zum Idealzustand?

  • Welches Merkmal macht den Idealzustand aus?

  • Worin besteht der Unterschied?

4.1.2 Beschreiben statt Bewerten

Sinnvoll ist es, Verhalten und Phänomene möglichst neutral zu beschreiben. Erklärungen, Deutungen und Interpretationen sind zunächst zu vermeiden:

  • Können Sie beschreiben, wie sich die Person X verhalten hat?

  • Was haben Sie gesehen oer gehört?

4.1.3 Eigenschaften „verflüssigen“

Eine große Gefahr besteht darin, Personen auf „Charaktereigenschaften“ festzunageln. Sinnvoller ist es, Verhaltensmuster zu beschreiben, die in der Regel auch veränderbar sind.

  • X: „Du bist ein ,Softie‘!“
    Zu X: „Welches Verhalten führt dazu, dass Sie X ‚Softie‘ nennen?“

  • Y: „Du bist launisch!“
    Zu Y: „Wie verhält sich Y, wenn Sie ihn als ‚launisch‘ beschreiben?“

Sinnvoll ist es auch, den Kontext zu beleuchten, in dem das Verhalten vorkommt:

  • In welcher Situation kommt es vor?

  • Wer ist dabei? Wer reagiert wie?

  • Was geschieht davor? Was danach?

  • Wie ist die zeitliche Abfolge?

4.1.4 Opfer- und Täter-Rolle

Aus systemischer Sicht bedingen sich Verhaltensweisen gegenseitig. Das eigene Handeln beeinflusst das der Anderen, und umgekehrt. Starre Rollenzuschreibungen ‒ wie Täter und Opfer ‒ werden dadurch hinterfragt:

  • Frage an A: Wie könnten Sie erreichen, dass B genau das tut, worüber Sie sich jetzt beklagen?
    Antwort von A: Ich müsste folgendes tun: ...

  • Frage an B: Wenn Sie wollten, dass A genau das tut, worüber Sie sich jetzt beschweren, wie könnten Sie das erreichen?
    Antwort von B: Ich müsste mich so verhalten: ...


4.1.5 Eine zeitliche Dimension einführen

Der systemische Ansatz zielt darauf, Verhalten zu verändern. Starre Zuschreibungen („Das ist halt so“) werden gelockert, indem man eine zeitliche Perspektive einführt.

  • Wann hat die Situation X begonnen?

  • Wann wird es schlimmer, wann wird es besser?

  • Wie lange wird es nach Ihrer Einschätzung noch dauern?

4.1.6 Werte klären

Werte sind die Basis eines Teams und das Fundament einer Organisation. Fragen, die Grundsätze und Werte betreffen, sind daher hilfreich für das Klima in Teams und Organisationen (Hemel 2007: 57). Mögliche Werte sind die Autonomie des Individuums, das Wohl der anderen und die Unternehmensethik.

  • Welcher Wert ist Ihnen am wichtigsten?

  • Wenn es Konflikte zwischen den Werten gäbe, wer würde sich für was entscheiden?

  • Welcher Wert ist es, der das Team X am meisten von Team Y unterscheidet?

4.1.7 Mythen, Geschichten und Theorien entdecken

Seit Urzeiten erzählen sich Menschen Mythen und Geschichten. Auf diese Weise erhalten sich Erfahrungen und Erinnerungen. Und sie ermöglichen Einblick in die Biographie einer Person, in den Werdegang eines Teams oder einer Organisation.

  • Welche Geschichten werden im Team erzählt?

  • Welche Geschichten gibt es über die Vergangenheit und Gegenwart? Welche Perspektiven zur Zukunft?

  • Wie sind aktuelle Rituale zu erklären, wenn man sie im Licht der Firmengeschichte betrachtet?

4.2 Spezielle Frageprinzipien
4.2.1 Subsysteme und Koalitionen analysieren

Prinzipien, die Beziehungen in Gruppen erzeugen, werden durchleuchtet:

  • Welche Allianzen gibt es derzeit? Wer macht was mit wem, wie und wann?

  • Welche Spielregeln gelten in den einzelnen Bündnissen und Allianzen?

  • Wie durchlässig sind deren Grenzen?

  • Wie beständig sind die Koalitionen?

  • Welche Anzeichen gibt es für einen Wechsel?

4.2.2 Rangfolgen bilden

Das Verhalten der Anderen wird in eine Skala eingeordnet:

  • Wer würde als Erster ..., wer als Letzter ...?

  • Wer käme an erster, zweiter, ... hinterster Stelle?

4.2.3 Differenzieren

Fragen nach Unterschieden, die sowohl qualitativ als auch quantitativ sein können:

  • Ist es eher so ‒ oder eher so?

  • Mehr oder weniger; häufiger oder seltener; besser oder schlechter?

Die Frage nach einer Skala gibt ein differenzierteres Bild (s. a. Kapitel 5, Skalierende Fragen):

  • Wie zufrieden sind Sie mit dem Arbeitsplatz ‒ von 0 (minimal) bis 10 (maximal)? Welche Ziffer würden Sie wählen?

  • Wie ist das momentane Klima im Team (Schulnoten von 1 bis 6), welche Note würden Sie jetzt geben? Welche hätten Sie zu Beginn des Projekts gegeben? Welche Note würden Sie sich wünschen/ sollte erreicht werden?

4.2.4 Übereinstimmungen ‒ Differenzen klären

Wo gibt es Übereinstimmungen und wo Differenzen:

  • Wer teilt diese Sichtweise, wer stimmt mit wem überein?

  • Wer sieht es genau umgekehrt?

  • Wer steht dazwischen, wer ist unentschieden?

4.2.5 Status quo und seine Vorteile

Aus systemischer Sicht hat der Status quo eine bestimmte, sinnvolle Funktion, auch wenn er bemängelt und kritisiert wird:

  • Was ist an der jetzigen Situation gut, so, wie sie...

 

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