The Gold Mine - Die Geschichte eines gelungenen Lean Turnarounds - Ein Roman

Freddy Balle, Michael Balle

The Gold Mine - Die Geschichte eines gelungenen Lean Turnarounds

Ein Roman

2016

344 Seiten

Format: PDF, ePUB

E-Book: €  29,99

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ISBN: 9783446450714

 

1 Kapitel 1: Der Profit regiert, aber die Liquidität entscheidet

Das Telefon klingelte. „Mike?“ Charlenes Stimme. „Ist Phil bei dir?“ In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Panik. „Nein“, sagte ich. „Warum? Ist was passiert?“

„Ich weiß nicht. Er hat mich vor ein paar Stunden angerufen und mir gesagt, dass er heute Abend noch zu dir will. Aber ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört.“ Ich schaute auf meine Uhr. Es war kurz nach elf Uhr abends. Da kann man sich zwar Sorgen machen ? aber noch nicht so viele Sorgen, dass man seinem Mann hinterhertelefoniert. Ich versuchte, mehr aus ihr herauszubekommen, aber sie bat mich nur, sie anzurufen, falls Phil sich bei mir melden würde. Ich legte auf. Phil Jenkinson war schon seit Kindheitstagen mein Freund. Erst vor zwei, drei Wochen waren wir zusammen auf ein Bier weggewesen. Phil war ein erfolgreicher Mann, er würde es noch weit bringen, und er würde eines Tages reich sein, das war mir schon immer klar. Ich wusste, dass er in letzter Zeit stark unter Druck stand, aber bis auf die üblichen Anzeichen von Stress schien es ihm ganz gut zu gehen. Hoffentlich hatte er keinen Unfall oder so was.

Die Türklingel riss mich aus meinen Gedanken. Ich öffnete. Ein schlecht gelaunter Taxifahrer versuchte, Phil, der schwankend und sturzbetrunken vor sich hinplapperte, durch die Tür zu bugsieren. „Ist das Ihr Freund?“, schnauzte mich der Taxifahrer an, mehr Vorwurf als Frage. Wir brachten Phil ins Wohnzimmer und packten ihn auf die Couch. Er war nicht nur betrunken, er war auch vom strömenden Regen völlig durchnässt und zitterte am ganzen Körper. Ich bezahlte den Taxifahrer, gab ihm noch ein ordentliches Trinkgeld und beobachtete, wie er zu seinem Fahrzeug ging. Dann ging ich zurück ins Haus. Phil schnarchte laut. Als ich Charlenes Nummer wählte, fühlte ich mich wie ein Verräter. Ich verschwieg ihr die Details, sagte nur, dass Phil bei mir wäre und dass ich ihn am nächsten Tag nach Hause fahren würde. Im Hintergrund hörte ich ihre Kinder streiten und wunderte mich einen Moment, ­warum sie um diese Zeit noch nicht im Bett waren ? aber das ging mich nun wirklich nichts an.

Ich zog Phil seinen nassen Mantel aus, zerrte ihm die Schuhe von den Füßen und legte ihn rücklings auf die Couch. Sein Gesicht wirkte weich, fast kindlich, sein unverständliches Brummeln im Schlaf erinnerte mich an unsere Teenagerzeit, und nicht zum ersten Mal fragte ich mich, warum er immer noch diesen sonderbaren Haarschnitt und die veraltete Brille trug. Er sah aus wie ein Nerd. In der Brusttasche seines Hemdes steckte sogar ein Kugelschreiber! Er war ein großer, breitschultriger Mann mit blonden Haaren und leicht pockennarbiger Haut. Ein offenes Gesicht. Und ein offener Mann. Er war nicht der introvertierte Typ, sondern einer, der sagt, was er denkt, eine Eigenschaft, die ihn immer zu einem guten Freund machte. Da er nicht rauchte, eigentlich nie Alkohol trank und seine einzige Schwäche schnelle ­Autos waren, wirkte er immer ein wenig langweilig. Was ihn am meisten interessierte, war seine Arbeit, und so waren die Gesprächsthemen mit ihm tatsächlich auch immer etwas limitiert. Was konnte passiert sein, dass er jetzt in diesem Zustand vor mir lag?

Der Morgen brach an, warm und sonnig, nach über einer Woche ununterbrochenem Regen, und ich hoffte, dass nun endlich der Frühling begänne. Ich lebe gerne in Nordkalifornien, aber der Dauerregen konnte einen manchmal mürbe machen. Ich stellte einen Becher schwarzen Kaffee, ein Glas Bier und ein rohes Ei in einer Tasse auf den Couchtisch, ein altes Katerrezept, und weckte Phil. Er schüttete sich als Erstes das Bier hinein, trank dann den Kaffee und ignorierte das Ei. Dann zog er sich langsam hoch. Ich setzte mich zu ihm und schlürfte meinen Kaffee.

„Willst du darüber reden?“

Er schüttelte den Kopf und verzog sofort das Gesicht vor Schmerzen.

„Probleme mit deiner Frau?“

Ein trüber, überrascht wirkender Blick.

„Nein. Probleme mit der Arbeit.“

Ich stutzte. Probleme mit der Arbeit? Was soll das heißen? Philips Leben war eine Erfolgsgeschichte. Er studierte in Berkely, promovierte in Physik und entwickelte ­anschließend irgendein Hightech-Ding, das er sich patentieren ließ. Dann gründete er mit einem Partner ein Unternehmen, wo diese Dinger hergestellt wurden. Ich studierte damals ein paar Monate in England und habe nicht alles im Detail mitbekommen, aber als ich zurückkam, zog ich in die gleiche Stadt, in der auch Phil lebte. Vor zwei Jahren kauften Phil und sein Partner einen alteingesessenen Hersteller von elektrischen Komponenten mit dem Ziel, ihre neue Technologie in dessen Produkte zu integrieren. Sarah, meine Ex-Freundin, und ich wohnten damals ein paar Wochen bei Phil, bevor ich eine Stelle an der Universität bekam und wir uns eine eigene Wohnung leisten konnten, und ich weiß, dass er damals in einem Monat mehr Geld verdiente als ich in einem Jahr. Sein ständiges Gerede über Neuemissionen und Aktienpreise hätte mich wahrscheinlich zu Tode gelangweilt, wenn ich nicht, ich gebe es zu, ein wenig neidisch gewesen wäre.

Probleme mit der Arbeit? Welche Art von Problemen bei der Arbeit bringt dich stockbesoffen auf die Couch eines Freundes?

„Schlimm?“

„Schlimmer.“ Er bat um eine weitere Tasse Kaffee, seine Augen waren rot, sein Blick war verschwommen, sein Gesicht wirkte eingefallen im hellen Licht des Morgens. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Ich schaffe es nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Es ist einfach zu viel.“

„Erzähl’s mir.“

„Du würdest es nicht verstehen.“ Er zuckte mit den Schultern und erzählte es mir dann doch. „Wenn uns nicht ganz schnell etwas einfällt, sind wir in ein paar Monaten bankrott. Alles, was wir haben, haben wir auf Kredit gekauft, und die Banken verlängern nicht mehr. Wir haben alles versucht. Ich weiß nicht mehr weiter.“

So wie ich das Ganze bisher verstanden hatte, hatten Phil und sein Partner Matthew vor einigen Jahren die Idee, eine marode Firma zu kaufen, deren Produkte dann mit ihrer neuen Technologie fit zu machen, um im Anschluss groß abzusahnen. Sie kratzten all ihr Geld zusammen, liehen sich eine wesentlich größere Summe von den Banken und fingen an, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Nach der anfänglichen Begeisterung kamen sie irgendwann in der Realität an und erkannten, dass es nicht so einfach ist, eine Firma zu leiten. Aber ich hatte nicht gedacht, dass die Dinge so schlecht standen. Ich vermutete, dass die Krise eben viele Unternehmen in Schwierigkeiten brachte.

„Es ist zu viel“, flüsterte er wieder voller Verzweiflung vor sich hin. Für mich als typischer Akademiker war es schwierig, das Ausmaß seiner Probleme zu erkennen ? ebenso den Grund, warum das so eine Katastrophe sein sollte. Aber mir war schon klar, dass für manche Menschen ihre Arbeit wichtiger ist als ihre Familie, als ihr ­Leben, als die großen Fragen des Universums. Ich wusste das, weil mein Vater so ein Mensch war. Ich bin mit diesen Problemen aufgewachsen ? oder sollte ich sagen, trotz dieser Probleme?

„Ich habe mir die Zahlen schon hundertmal angeschaut“, sagte er mit einem Seufzen. „Die Banken verlangen die Rückzahlung der Kredite, aber alles, was wir haben, ist mit Krediten finanziert. Im Moment schaffen wir es nicht einmal, die Zinsen zu bezahlen. Wenn sie uns die Kredite nicht verlängern, können wir keine Gehälter und keine Lieferanten mehr zahlen. Und das war es dann.“

Plötzlich fuhr er hoch. „Ich muss nach Hause“, stöhnte er. Er legte sein Gesicht in die Hände und das Einzige, was ich denken konnte, war, dass ich etwas für ihn tun musste. Ich konnte ihn nicht so gehen lassen, ich konnte ihn nicht in dem Zustand zu Charlene bringen.

„Es gibt eine Möglichkeit, auch wenn es mir irgendwann leidtun wird, dass ich das sage.“ Er schaute mich an, aber er hörte gar nicht richtig zu. „Wir könnten mit meinem Vater sprechen.“

Mein Vater war der Einzige, den ich kannte, der Phil helfen konnte, und während wir zum Hafen fuhren, gingen mir viele Dinge durch den Kopf. Mein Vater war mittlerweile in Rente und verbrachte den Großteil seiner Zeit damit, im Jachtklub an seinem Boot herumzubasteln. In seiner Glanzzeit war er ein erfolgreicher Manager in der Automobilzulieferindustrie. Gleich nachdem er die Schule verlassen hatte, meldete er sich zur Navy. Anschließend studierte er und verließ die Uni mit einem Abschluss als Wirtschaftsingenieur. Seine erste Stelle trat er dann bei British Leyland in England an. Es war um die Zeit, als Austin Morris und British Leyland fusionierten. Damals gab es noch eine nennenswerte britische Automobilindustrie. In England lernte er meine Mutter kennen, und so wuchsen mein Bruder und ich in Großbritannien in den Midlands auf, bis mein Vater einen Posten im Topmanagement eines Zulieferers in der Nähe von Detroit annahm und wir in die Staaten übersiedelten.

Der Umzug war ein Albtraum. Ich verlor mit einem Schlag alle meine Freunde und befand mich unter lauten Fremden. Ich sprach anders als sie, ich kleidete mich anders als sie und ich mochte sie nicht. Und sie mochten mich auch nicht (und für meinen jüngeren Bruder war das wahrscheinlich noch schlimmer als für mich). Phil mit seiner abgetragenen Kleidung war damals ein Streber, der sich nur für technische Dinge interessierte, und wer auch nur ein bisschen cool sein wollte, ging ihm aus dem Weg. Wir waren die beiden hässlichen Entlein im Teich, und vielleicht war das der Grund, warum wir Freunde wurden und es blieben, bis ich wieder zurück nach England ging, um meinen Doktor in Psychologie zu machen.

Die Karriere meines Vaters verlief ungewöhnlich, weil er einer der wenigen...

 

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