36 Strategeme für Manager

Harro von Senger

36 Strategeme für Manager

2016

240 Seiten

Format: ePUB

E-Book: €  29,99

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ISBN: 9783446450905

 

Vorspiegelungs-Strategeme


Eine nicht vorhandene Wirklichkeit wird vorgegaukelt: Strategeme Nr. 7, 27, 29, 32, 34.

Strategem Nr. 7:


Aus einem Nichts etwas erzeugen


Das »Nichts« ist kein Vakuum, sondern z.B eine Mücke, aus der man einen Elefanten macht (Chen 1, S. 74) oder eine »verrückte Idee«, die sich als Goldgrube erweist (Chen 1, 78).

Kreator-Strategem.

Das Strategem Nr. 7 ist technisch hybrid, denn es gehört je nachdem zur Kategorie der Vorspiegelungs- oder der täuschungsfreien Ausmünzungs-Strategeme.

a) Meist wird das Strategem als Vorspiegelungs-Strategem verstanden. Man gewinnt einen Vorteil, indem man ein Trugbild vorgaukelt, etwas aus der Luft greift oder eine Placebo-Handlung vornimmt. Der Bogen spannt sich von legitimen Übertreibungen bei der Anpreisung eines Produkts bis zur Lüge und zu kriminellen Betrügereien (Yao, S. 55).

b) Setzt man das Strategem Nr. 7 als Ausmünzungs-Strategem ein, dann macht man sich das schier unerschöpfliche Potenzial der vom Menschen noch ungeformten brachliegenden Wirklichkeit zunutze. Dank einer konstruktiven Vision – also zunächst eines Luftgebildes –, die man in die Wirklichkeit überführt, gelangt man zu einem Erfolg oder spielt man ein Gegenüber aus. Gerade in der Wirtschaft steht diese Seite des Strategems Nr. 7 im Vordergrund, denn »der Geschäftskrieg ist in Wirklichkeit ein Kreativitätswettstreit« (Chen 1, S. 79). Man überflügelt die Konkurrenz dank kühner, in Leerräume der Forschung und Entwicklung vorstoßender Ideen und mit phantasievoll-schöpferischem Vorausdenken anstelle bloß alltagstrottverhafteten Nachdenkens. Es gilt, die unglaublich vielfältige Gestaltbarkeit des Wirklichen – etwas, was listenblinden Schlafmützen entgeht – mit Hilfe menschlicher Phantasie auszuloten und zu verwerten.

Weltübergreifende geistige Offenheit und vernetzendes Denken sind gefragt. »›Die Geschichte hat keinen Sinn‹, sagte Karl Popper, um sogleich hinzuzufügen, dass wir ihr einen Sinn geben können« (NZZ, 12.11.2001, S. 27). Man wird als Mensch, ohne gefragt zu werden, in diese Welt geworfen. Es liegt an jedem, sich vom Vorgegebenen nicht allzu sehr lähmen zu lassen, sondern die Möglichkeiten zu nutzen, um »sich permanent neu zu erfinden«. Das Leben mag durch die technische Zivilisation entzaubert worden sein. Verzaubern wir es wieder – durch hehre Ziele, die wir uns setzen, durch Ideale, die wir aufbauen, warum nicht mittels einer Religion, oder durch Freude über liebenswerte Kleinigkeiten! »Die Wirklichkeit ist die Illusion, die wir uns von ihr machen« (Günter Rohrbach, FAZ, 29.11.2001, S. 45).

Strategemradius


Das Strategem Nr. 7 als Vorspiegelungs-Strategem


Man vermengt nach der Losung »xu xu shi shi (leer leer voll voll)« in seinen Aussagen Wahres mit Falschem oder in seinem Warenangebot echte mit unechten Waren und verwirrt so das Gegenüber in einer Weise, dass es auch falsche Aussagen für wahr und auch unechte Waren für echt hält (Zhang, S. 76).

Ein Hirtenbub, der auf einem Hügel ein weidendes Schaf bewachte, rief um Hilfe, denn ein Wolf sei gekommen. Die Leute eilten auf den Hügel, um festzustellen, dass der Junge sie zum Narren gehalten hatte. Später führte der Junge diese Szene noch mehrmals durch, aber niemand nahm von seinen Hilferufen Notiz. Als dann ein Wolf kam und der Junge im Ernst losschrie, kam niemand, und der Wolf fraß das Schaf. Wer diese Geschichte listig umdreht, wird immer wieder neuen blinden Alarm – also ein »Nichts« – auslösen, um später ungehindert die Tat – also ein »Etwas« – ausführen zu können (Yu 2003, S. 35f.).

Eine taiwanesische Waschmaschine belegte in der Gunst der Kunden hinter drei ausländischen Marken nur den vierten Platz. Das Problem der Waschmaschine war ihr schwach ausgeprägtes Eigenprofil. Die von der Waschmaschinenfabrik angeheuerte Werbefirma entdeckte in der Waschtrommel des Apparats vier kleine, von außen gut sichtbare Kläppchen. Die Konstrukteure sagten, diese Kläppchen seien nur aus ästhetischen Gründen eingebaut worden. Irgendeine technische Funktion komme ihnen nicht zu. Natürlich könne man den Kläppchen, wenn man es unbedingt wolle, einen minimalen Einfluss auf den Waschvorgang nachsagen. Diese Besonderheit der Waschmaschine machten sich nun die Werbefachleute zunutze. Sie schufen für den mit den vier Kläppchen versehenen Apparateteil einen ganz neuen Namen, nämlich »gekoppelter Drehmechanismus«, beschrieben eindrucksvoll die positiven Auswirkungen des »gekoppelten Drehmechanismus« auf den Waschvorgang und verhalfen so der Waschmaschine zu einem Verkaufsboom (Chen 1, S. 79ff.).

Pseudokunden (tuo) werden von chinesischen Geschäften oder Straßenläden angestellt. Wenn ein echter Kunde unschlüssig vor einem Produkt steht, drängen sie sich vor und »kaufen« genau dieses Produkt, vielleicht noch mit einem Schwall lobender Worte, die der unschlüssige Kunde natürlich hört. Durch den begeisterten Pseudokunden soll er zum Kauf animiert werden. Derartige Pseudokunden gibt es in China in verschiedenen Branchen und Variationen (Yu 1994, S. 234f.).

Kreative Buchführung, Scheinfirmen, Scheinabrechnungen, Scheingeschäfte; Börsengurus, die (abgesehen von ihrem etwaigen Insiderwissen) eigentlich nichts über die Zukunft wissen, aber so tun, als wüssten sie etwas; die gestützt auf ihren Nimbus die Stimmung anheizen und so Geld verdienen – all das sind Ausdrucksformen des Strategems Nr. 7.

Um die Rothschilds rankt sich eine Unzahl von Legenden. Die wohl berühmteste hängt mit der Schlacht von Waterloo am 18.06.1815 zusammen. Die Londoner Börse wartete damals gespannt auf den Ausgang. Sollte Napoleon siegen, dann müssten die Kurse langfristiger Staatsanleihen fallen. Bei einer Niederlage des Korsen hingegen, so rechnete man, würde ein Kursanstieg die Folge sein. Den Rothschilds gelang es mittels ihres hauseigenen ausgeklügelten Kuriersystems als Ersten, die Nachricht von der Niederlage Napoleons nach England zu bringen, was einen Börsencoup ermöglichte, wie man ihn bis dahin nicht gekannt hatte. Kolportiert wird, dass Nathan Rothschild, Chef des Londoner Bankhauses, sich damals an der Börse aufhielt, regungslos vor seiner »Säule« stehend. Im Wissen um den Ausgang der Schlacht von Waterloo investierte er nicht, sondern verkaufte. Das Schicksal der Anleihen schien besiegelt zu sein. Je mehr er verkaufte, desto stärker sank der Kurs. »Rothschild«, flüsterte man sich in den Gängen zu, »muss es wissen: Die Schlacht von Waterloo ist verloren.« Bis Nathan plötzlich zu kaufen begann, und zwar zu einem Preis, den er selbst bestimmt hatte. Als die Siegesnachricht kurz darauf in London bekannt wurde, schoss der Kurs der Papiere in die Höhe. »Die Rothschilds verdienten Millionen.«17

»Gerüchte sind das Allerfurchtbarste. Man kann sie nicht sehen, man kann sie nicht fassen, sie sind ohne Schatten und ohne Gestalt – ein bloßes Mundwerk entscheidet über Gedeih und Verderb. Ein einziger Satz kann einen Menschen in den Selbstmord treiben und einen Helden zur Kapitulation bewegen. Schon mancher Gegenspieler wurde mit einer bloßen Gerüchteoffensive, ohne dass man mit ihm die Klingen zu kreuzen brauchte, ausgeschaltet« (Chen 1, S. 73).

»Wenn einer über mich eine infame Behauptung in die Welt setzt und diese von einem ehrbaren Verlagshaus abgedruckt wird, dann wird die Behauptung Teil der medialen Wirklichkeit, und jeder schreibt sie vom anderen ab« (Ringier-Chefpublizist Frank A. Meyer, in: Das Magazin, Wochenendbeilage zum TA, Nr. 29, 20.07.2002, S. 12).

Ausmünzungs-Strategem


»Man erzeugt Produkte nicht, um Bedürfnisse der Konsumenten zu befriedigen, sondern um neue Bedürfnisse der Kunden zu schaffen«, sagte Honda Soichiro (1906–1991), einer der bedeutendsten Industriellen Japans, dessen Milliardenunternehmen die meistverkauften Motorräder der Welt herstellte (Yu 1994, S. 59).

Man erfindet für ein Produkt eine neue Anwendungsmöglichkeit, etwa indem man glatzköpfigen Mönchen Kämme zum Massieren der juckenden Kopfhaut andreht (Zhou 1992, S. 18).

Die amerikanische Unterhaltungsindustrie hilft durch immer wieder neue Trends und Modeströmungen aller Art, die Langeweile, die vergnügungssüchtige Menschen in aller Welt nicht ertragen können, zu vertreiben und das Bedürfnis nach Abwechslung zu befriedigen. So übt sie eine globale Faszination aus.

Böse Zungen behaupten, den Dreikönigstag habe die Bäckerzunft erfunden, um mit einem kulinarisch unspektakulären Gebäck das Januarloch in der Kasse zu füllen (Zürichsee-Zeitungen, Stäfa 05.01.2002, S. 25).

Strategemprävention


Tritt das Strategem Nr. 7 als Vorspiegelungs-Strategem auf, wappnet man sich dagegen durch Verzicht auf Leichtgläubigkeit. Wer zu vertrauensselig ist, lässt sich leicht übers Ohr hauen (Yu 1993, S. 64). Hinterfragen kann selten schaden. Skepsis ist oft gesund. Das Wort von der »Entzauberung« der Lebenswelt kennzeichnet ein angebliches Wesensmerkmal der modernen Gesellschaft. Gerade sie ist aber in Wirklichkeit voll von falschem Zauber. Ihm gilt es, nicht zu erliegen. Dazu verhilft die aus der Kenntnis des Strategems Nr. 7 gewonnene Einsicht, wie unendlich viele Möglichkeiten es gibt, hanebüchene Konstrukte in die Welt zu setzen, die jeder Realität entbehren. Viele »Realitäten« sind reine Luftgebilde, die man als solche bloßstellen und unschädlich machen kann.

Wenn sich ein Gerücht zu lange verbreitet, lässt es sich kaum mehr aus der...

 

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