Wertstromdesign

Alexandra Lindner, Ivo Richter

Wertstromdesign

2015

128 Seiten

Format: PDF, ePUB

E-Book: €  7,99

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ISBN: 9783446428836

 

1 Einleitung


WORUM GEHT ES?

In Unternehmen und Organisationen denken wir traditionell in Funktionen. So sind Unternehmen in Hauptbereiche gegliedert, die sich an deren Funktion orientieren wie z.B. Entwicklung, Einkauf, Fertigung, Montage und Vertrieb. Diese Hauptbereiche teilen sich wiederum in funktionsbezogene Abteilungen und Kostenstellen auf. Verbesserungs- und Optimierungsbemühungen fokussieren sich traditionell auf die einzelnen Funktionseinheiten: Umsatzziele bestimmen den Vertrieb, Herstellkostensenkung die Produktion, Materialkosten den Einkauf und neue Produkte die Entwicklung. Das Problem dabei ist: der Fluss der Wertschöpfung durch die Abteilungen und Bereiche ist schlecht und der Kunde mit seinen wachsenden Anforderungen an kurzfristige und termintreue Lieferung individueller Produkte kann nicht mehr adäquat bedient werden. Gleichzeitig sind Unternehmen mit steigenden Kosten für Lohn und Material konfrontiert und der technologische Fortschritt durch Fertigungstechnologie oder IT erlaubt keine sprunghaften Verbesserungen mehr.

In intransparenten und schlecht abgestimmten Prozessen liegt häufig das größte Optimierungspotenzial. Stellen Sie sich einen Ablauf vor, den Sie gut kennen. Warum braucht er so lange? Warum gibt es immer wieder Probleme? Vielleicht liegt die Auftragsmappe zunächst einige Tage im Eingangskorb des Sachbearbeiters, weil dieser andere Prioritäten hat. Die eigentliche Bearbeitung dauert dann nur zehn Minuten und endet mit einer ergänzenden Eingabe im EDV-System. Anschließend muss die Mappe zur Freigabe zum Chef. Dieser ist überlastet oder auf Dienstreise. Erneut wartet der Auftrag mehrere Tage bis zur Unterschrift. Ist der Auftrag nun freigegeben, wird er in der Produktion eingeplant, terminiert und reiht sich in die Schlange wartender Aufträge ein. Nun meldet sich der Vertrieb per Telefon, weil der Kunde nach dem Ausliefertermin fragt. Der Vertrieb hat keinen Zugriff auf das Produktionsplanungssystem und muss jedes Mal den zuständigen Sachbearbeiter ausfindig machen. Kurz vor Produktionsstart hat der Kunde einen relevanten Änderungswunsch und es muss umgeplant werden ...

Nein, einen solchen Ablauf können Sie nicht akzeptieren, werden Sie sagen. Aber was ist zu tun?

WAS BRINGT ES?

Die Wertstrommethode ist das richtige Instrument, um sämtliche Abläufe in Produktion und Dienstleistung ganzheitlich aufeinander abzustimmen und so Lieferzeiten drastisch zu verkürzen, Zuverlässigkeit und Qualität zu steigern, Bestände zu reduzieren sowie Verschwendung an den Schnittstellen von Funktionsbereichen zu vermeiden. Die Wertstrommethode ist einfach zu erlernen, praxisnah und lebt von der Einbeziehung der beteiligten Abteilungen und Mitarbeiter. Sie verbindet Funktionen innerhalb des Unternehmens durch den Prozessgedanken und erzielt nachhaltige Verbesserungen, sei es auf Bereichs-, Abteilungs- oder Arbeitsplatzebene.


WIE GEHE ICH VOR?

Verschaffen Sie sich mit Hilfe dieses Buches einen Überblick über die Wertstrommethode. Betrachten Sie bewusst Abläufe in Ihrem Unternehmen und versuchen Sie, Wertschöpfung und Verschwendung zu trennen. Wo läuft es gut, wo klemmt es? Gibt es Probleme mit der Durchlaufzeit, der Termintreue, den Beständen oder gibt es chronische Spannungen zwischen den Beteiligten? In allen Fällen kann die Wertstrommethode bei der Lösung helfen. Aber auch wenn Sie umstrukturieren, in neue Anlagen investieren oder auch ohne zwingenden Anlass Prozesse optimieren wollen, lohnt sich der Einsatz der Wertstrommethode.

Ziel der Wertstrommethode

Die Wertstrommethode unterstützt ein Unternehmen in der Fähigkeit, Material, Produkte (auch Dienstleistungen!) und Informationen durch Prozessketten fließen zu lassen, schnell, verschwendungsarm und auf hohem Qualitätsniveau.

1.1 Die Wertstromphilosophie

WORUM GEHT ES?

Die Wertstrommethode ist eine zentrale Methode ganzheitlicher Produktionssysteme bzw. des Lean Managements, so wie auch KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess), Kanban oder Gruppenarbeit. Toyota hat bereits in den 1950er-Jahren erkannt, dass eine ganzheitliche Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette großes Verbesserungspotenzial bietet und das Toyota Produktionssystem (TPS) entwickelt. In Europa und den USA rückte dieses Denken erst Anfang der 1990er Jahre in den Fokus, als man insbesondere in der Automobilindustrie an Wettbewerbsfähigkeit verlor. So untersuchten Unternehmen und Berater das Erfolgsgeheimnis des Toyota Produktionssystems und dessen Methoden und versuchten diese auf die hiesigen Verhältnisse zu übertragen. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass Methoden nur dann dauerhaften Erfolg bringen, wenn diese in ein sogenanntes ganzheitliches Produktionssystem von gemeinsamen Wertvorstellungen und Leitlinien für alle unternehmensrelevanten Entwicklungsfelder eingebettet sind. Diese Entwicklungsfelder sind Kundenorientierung (inkl. Qualität), synchrone Prozesse, der Mensch (Führung, Zusammenarbeit), stetige Verbesserung und effiziente Arbeitsstrukturen am Ort der Wertschöpfung. Umsatz und Kosten werden hingegen nicht als primäre Optimierungsgrößen betrachtet, sondern man unterstellt deren positive Entwicklung, wenn man in den Entwicklungsfeldern ganzheitlich unterwegs ist. Zahlreiche erfolgreiche Beispiele bestätigen diese Annahme.

Ganzheitliche Produktionssysteme und damit auch die Wertstrommethode haben zwar ihre Wurzeln in der Automobilindustrie, jedoch nach und nach haben sich andere Industriezweige das Denken und die Methodik erschlossen. Es sind heute auch bei weitem nicht nur Großunternehmen, welche ganzheitliche Produktionssysteme pflegen, sondern auch kleinere und mittelständische Unternehmen, gleichgültig ob produzierend tätig oder Dienstleister, gleichgültig ob Großserienfertiger oder Anlagenbauer. Aber was ist letztlich das Geheimnis solcher Produktionssysteme? Darüber sind in den letzten Jahren viele Bücher geschrieben worden. Taiichi Ohno (ehemaliger Toyota-Manager) bringt es auf den Punkt: „Wir konzentrieren uns auf die Durchlaufzeit und zwar von dem Moment an, in dem wir einen Kundenauftrag erhalten, bis zum Zahlungseingang. Dabei verkürzen wir diese Durchlaufzeit, in dem wir alle Bestandteile eliminieren, die keinen Mehrwert generieren.“ (Ohno 1988)

Häufig versteht man bisher unter Optimierung in der Produktion vor allem das Reduzieren der Bearbeitungszeit auf den Betriebseinrichtungen (Anlagen, Werkzeugmaschinen etc.). Dabei werden beispielsweise neue Werkzeuge eingesetzt oder technologisch bessere Maschinen gekauft. Das kann Vorteile bringen, aber es reduziert die Gesamtdurchlaufzeit oft nur unwesentlich. Unter Wertstromaspekten stellt man sich beispielsweise die Frage, warum Werkstücke oft viele Stunden, ja Tage benötigen bis sie zur Folgeoperation gelangen (Bild 1.1). Da wird die Hauptzeit durch ein Sonderwerkzeug um 30 Sekunden für ein Drehteil reduziert, aber es fragt keiner, warum es anschließend erst vier Tage später auf einer Schleifmaschine fertigbearbeitet werden kann. Nicht nur, dass die Auftragszeit dadurch groß wird, es muss auch viel Handlingsaufwand betrieben werden (Wegfahren, Einlagern, Auslagern, Bereitstellen etc.).

Bild 1.1 Durchlaufzeitreduzierung im Fokus

Nun kann man die Durchlaufzeiten nicht so einfach reduzieren, werden Sie zu Recht sagen. Aber wenn man erst einmal begonnen hat, sich damit zu beschäftigen, wird man mehr und mehr in den Bann der Wertstrommethode geraten. Und nun sind wir schon mitten in der Wertstromwelt. Und so ist der Wertstrom definiert:

Ein Wertstrom fasst alle Aktivitäten zusammen, um ein Produkt/eine Dienstleistung vom Lieferanten zum Kunden zu bringen. Alle Tätigkeiten, Informations-, Materialflüsse, seien sie wertschöpfend, unterstützend oder nicht wertschöpfend, prägen ihn (Bild 1.2). Überall wo es Prozesse gibt, da gibt es deshalb auch Wertströme.

Bild 1.2 Wertstrom


WAS BRINGT ES?

Die Wertstromphilosophie stellt einen Gegenpol zu dem Denken in Funktionen, Abteilungen und Kostenstellen dar und betrachtet maßgeblich den Prozess. Die Durchlaufzeit steht im Fokus, weil kurze Lieferzeit und hohe Liefertermintreue heute ein bestimmender Wettbewerbsfaktor sind. Liege- und Wartezeiten deuten auf ein hohes Maß an Verschwendung im Prozess und somit auf die Vergeudung von Ressourcen hin. Wertstromdenken drängt ein Unternehmen zu Kundenorientierung, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit, was sich letztendlich in wirtschaftlichem Erfolg widerspiegelt.

WIE GEHE ICH VOR?

Die Wertstrommethode ist „sehr nahe am eigentlichen Prozess“, d.h. sie lebt vom Linewalk, einer Vor-Ort-Begehung entlang der Wertschöpfungskette, und strukturierten Interviews mit Mitarbeitern, die den Prozess wirklich kennen, und nicht von Hypothesen der Manager, „wie die Prozesse angeblich laufen“. Wenn man Bestände zählen kann, dann sollte man sich nicht nur auf das Produktionssteuerungs- und Planungssystem (PPS) konzentrieren, sondern auch vor Ort gehen. Nur dort kann es beispielsweise auffallen, dass die Lagerbereiche nicht ausreichen und das Material auf Hilfsflächen lagert. Oder dass die Sachnummern in falschen Behältern angeliefert wurden, dass die Entsorgung des Verpackungsmaterials nicht klappt usw.

Die Wertstrommethode lässt sich skaliert auf verschiedenen Ebenen einsetzen, d.h. man kann große Lieferströme zwischen Zulieferern und Kunden genauso analysieren und optimieren wie den kleinen Ablauf in einer Montageinsel. Diese Methode kann an einfachen Prozessen...

 

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