Worst Case - Unser ganz erstaunliches Comeback nach Jobverlust und Sozialabstieg

Marita Vollborn, Vlad Georgescu

Worst Case

Unser ganz erstaunliches Comeback nach Jobverlust und Sozialabstieg

2009

251 Seiten

Format: PDF, ePUB, Online Lesen

E-Book: €  13,99

E-Book kaufen

E-Book kaufen

ISBN: 9783446421974

 

KapItel 1 Abstieg im Turbotempo (S. 1)

Den Beginn der globalen Finanzkrise werden Geschichtsbücher auf den 15. September 2008 datieren, jenen Zeitpunkt also, an dem die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers zahlungsunfähig wurde. Der Kollaps des ruinösen Geldinstituts und alle folgenden finanzwirtschaftlichen Hiobsbotschaften entzündeten nicht nur die Gemüter der Branche, sondern entfachten auch unsere Fantasie.

Wir hatten nicht übel Lust, unserer Genugtuung bildlichen Ausdruck zu verleihen: T-Shirts mit der Aufschrift „I survived the Citibank" etwa hätten uns als Überlebende einer Wirtschaftswelt geoutet, deren Katastrophen das geschäftliche, moralische und ethische Versagen radikaler Gewinnmaximierer ausgelöst hatte.

Genau sieben Jahre zuvor stand uns, mitten in der eigenen existenziellen Krise, allerdings kaum der Sinn nach Ironie. Wir hatten innerhalb von 17 Monaten den Boden unter den Füßen verloren: Aus gut bezahlten Vertretern der Mittelschicht waren Sozialhilfeempfänger geworden.

Wer wie wir nie für möglich gehalten hätte, was doch so nahe liegt, meint nicht, dass Scherben Glück bringen. Die Einkünfte waren weggebrochen, die täglichen Ausgaben schmerzten und das Prinzip Hoffnung galt für andere. Mitunter waren wir derart verzagt, dass uns der Anblick eines Strickes umgehende Erlösung verhieß.

Heute können wir sagen: Wenn Strick, dann nur, um die wahren Übeltäter eine Zeit lang in Fesseln zu schlagen – Bossnapping nennen die Franzosen diese Form des Protests gegen Manager und Bankenchefs, die Stunden oder Tage gegen ihren Willen mit jenen verbringen müssen, denen sie Löhne kürzen, Kurzarbeit und Minijobs zumuten, um sie letzten Endes doch zu feuern.

Bossnapping ist zwar in Frankreich ebenso kriminell wie in Deutschland, aber durchaus nachvollziehbar und überdies ein Ventil, Schlimmeres zu verhindern. Dagegen wütet deutsche Verzweiflung in eine andere Richtung – sie ist in sich gekehrt. In Braunlage, einem 5 000-Seelen-Ort mitten im Harz, konnte ein Hotelbesitzer die Verbindlichkeiten gegenüber seiner Bank nicht mehr bedienen und legte Feuer.

Nicht nur Haus und Inventar verbrannten, sondern auch er selbst. Für die Bank wäre der Freitod des Mannes verschmerzbar gewesen, der Verlust der Immobilie war es nicht. Aus eigener Erfahrung, und das ist vielleicht die wichtigste Botschaft dieses Buches, können wir sagen: Kein finanzielles Desaster rechtfertigt den Tod eines Menschen, kein Schuldenberg wäre es wert, seine Würde oder sogar sein Leben aufzugeben.

Ein Comeback ist zwar mühsam und langwierig, aber möglich. Tiefe Erfahrungen sind unschätzbares Wissen. Und so kam es, dass der global einsetzende Finanzkollaps, der 2008 die gesamte Weltwirtschaft erfasste und in nur sechs Monaten über fünf Millionen Arbeitsplätze allein in den USA vernichtete, an uns relativ spurlos vorbeiging.

Zweifelsohne gehörten wir zu den wenigen, für die die Krise nicht wirklich überraschend kam. Im Gegenteil: Vieles, was wir seit der eigenen ökonomischen Wiedergeburt nach dem Sozialabstieg 2002 in mehreren Sachbüchern aufgegriffen hatten, erwies sich ab Herbst 2008 als wenig optimistische – aber korrekte – Prophezeiung.

Im Vergleich zu einigen unserer Bekannten und Kollegen, denen die globale Wirtschaftskrise seit 2008 wie ein apokalyptisches, unvorhersehbares Ereignis erschienen war, hatte uns die Implosion des Finanzsystems nicht sonderlich überrascht. Seit Jahren warnen namhafte Wirtschaftswissenschaftler immer wieder vor den Folgen des Zockerkapitalismus und des rabiaten Sozialabbaus, werden aber von den tonangebenden Neoliberalisten in Politik, Wirtschaft und Medien mundtot geredet und geschrieben.

 

© 2009-2024 ciando GmbH