Oberflächentechnik in der Kunststoffverarbeitung - Vorbehandeln, Beschichten, Bedrucken, Funktionalisieren, Prüfen

Markus Lake

Oberflächentechnik in der Kunststoffverarbeitung

Vorbehandeln, Beschichten, Bedrucken, Funktionalisieren, Prüfen

2017

574 Seiten

Format: ePUB

E-Book: €  119,99

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ISBN: 9783446452336

 

3 Beschichtungstechnik
3.1 Einleitung

Die Beschichtungstechnik stellt Verfahren und Prozesse bereit, um funktionale und dekorative Schichtsysteme auf der Kunststoffoberfläche durch Auftragen zu applizieren. In diesem Kapitel werden die Verfahren Galvanisieren, physikalische Dampfphasenabscheidung (PVD-Verfahren), thermisches Spritzen und Lackieren vorgestellt und detailliert beschrieben.

Das Galvanisieren von Kunststoffen wird seit den Achtzigerjahren durchgeführt, um Kunststoffprodukten ein metallisches Aussehen in Verbindung mit einer entsprechenden Haptik (Cool-Touch-Effekt) zu geben. Das Galvanisieren bietet Vorteile hinsichtlich der Einsparung von Herstellkosten und Gewicht. Durch den Einsatz von Kunststoffen lassen sich sehr komplexe und funktionelle Bauteile in einem Produktionsschritt herstellen, die anschließend galvanisiert werden können. Für die Herstellung dieser Bauteile aus Metallen wäre eine Vielzahl an kostenintensiven Bearbeitungsstufen erforderlich. Im Bereich der Automobil- und Luftfahrtindustrie wird die Galvanisierung von Kunststoffprodukten eingesetzt, da in diesen Industriezweigen die Kosten- und Gewichtsreduzierung eine zentrale Rolle spielt. Auch in anderen Bereichen gewinnt das Galvanisieren von Kunststoffen zunehmend an Bedeutung. So werden in der Elektronikindustrie beispielsweise Abschirmungen eingesetzt, um die Emission elektromagnetischer Strahlung zu verringern.

Die PVD-Verfahren umfassen eine Reihe von Beschichtungsverfahren zur Abscheidung von Metallen, Legierungen oder chemischen Verbindungen durch Zufuhr von thermischer Energie oder durch Teilchenbeschuss im Hochvakuum. Diese Verfahren gestatten die Beschichtung bei niedrigen Prozesstemperaturen, sodass thermisch sensible Substrate, z. B. ausgewählte Kunststoffe oder wärmebehandelte Stähle, beschichtet werden können. Ferner können endbearbeitete Bauteile mit der PVD-Technologie beschichtet werden, da die eingesetzten PVD-Verfahren die Ausgangsoberfläche konturgetreu abbilden, ohne dass eine Nachbearbeitung erforderlich wird. Im Bereich der industriellen PVD-Beschichtung von Kunststoffen haben sich verschiedene Verfahren, z. B. das thermische Verdampfen, das Elektronenstrahlverdampfen und das Hochleistungs-Kathodenzerstäuben etabliert. Die PVD-Verfahren stellen sehr umweltfreundliche Beschichtungsverfahren dar, da im Prozess keinerlei umweltgefährdende oder toxische Reaktionsprodukte entstehen, die aufwendig aufbereitet und kostenintensiv entsorgt werden müssen.

Die Beschichtung von Kunststoffen mit dem thermischen Spritzen stellt eine neue und innovative Prozesstechnik dar. Das Verfahren findet beispielsweise dort Anwendung, wo Schichtsysteme selektiv und mit einer hohen Schichtdicke auf einem Kunststoffträger appliziert werden müssen. Mit diesem Verfahren lassen sich elektrische Leiterbahnen auf einem Kunststoffträger applizieren, um das Verlegen von Kabelbäumen im Automobil zu umgehen. Die Leitungsquerschnitte der aufgebrachten Bahnen müssen derart dimensioniert sein, dass diese hohe Ströme leiten können, ohne dass es zu großen Verlusten durch einen elektrischen Widerstand kommt. Diese Verfahrenstechnik ermöglicht ferner die reproduzierbare Beschichtung von dreidimensionalen Kunststoffbauteilen.

Die Lackiertechnik stellt Verfahren und Prozesse für die Applikation von Lacksystemen bereit, um Kunststoffprodukte des Alltags mit dekorativen, schützenden und funktionellen Oberflächen auszustatten. Die Vorteile der Gestaltungs- und Konstruktionsfreiheit in Kombination mit anderen Eigenschaften, wie z. B. der Gewichtsreduzierung oder gezielt steuerbarer Zähigkeits- und Festigkeitswerte, erlauben einen grenzenlosen und wirtschaftlich attraktiven Einsatz. Kunststoffe eignen sich wegen ihres Dämpfungs- und Energieabsorptionsverhaltens besonders gut für die Herstellung lackierter, sicherheitsrelevanter Konstruktionen und Komponenten.

3.2 Galvanisieren von Kunststoffen

Jörg Günther

Die kommerzielle Galvanisierung von Kunststoffen begann Anfang der Achtzigerjahre. Durch die Erkenntnis, dass sich ABS-Kunststoffe sehr gut für die Abscheidung von galvanischen Schichten eignen, was sich zum einen auf den Haftmechanismus, zum anderen auf die guten Eigenschaften im Hinblick auf die Spritzgießbedingungen begründet, wurde sehr schnell klar, dass es für die Erzielung eines einwandfreien Ergebnisses unabdingbar war, eine enge Zusammenarbeit zwischen Kunststoffherstellern, Formenbauern, Spritzgießern und Galvanotechnikern zu gewährleisten.

Die Notwendigkeit, Kunststoffe zu galvanisieren, ergibt sich aus den industriellen Anforderungen unserer Zeit. Die Kostenreduzierung in der Herstellung ist ein ebenso wichtiger Punkt, wie die Gewichtssenkung des fertigen Bauteils. Diesen Anforderungen gegenüber stehen die steigenden Ansprüche an die Qualität.

Durch den Einsatz von Kunststoffen lassen sich sehr komplexe, funktionelle Bauteile in einem Produktionsschritt herstellen, für deren Erstellung aus Metallen eine Vielzahl an Bearbeitungsstufen notwendig wären, womit eine Kostenreduzierung und Gewichtssenkung realisiert wird. Eine Gegenüberstellung der Dichte von Stahl und Kunststoff (ca. 9 : 1) zeigt das Potenzial von Polymeren im Hinblick auf eine Herabsetzung des Stückgewichts.

Die erwartete Oberflächenqualität wird durch eine weitere Bearbeitung ‒ wie in diesem Fall die Galvanisierung ‒ erreicht. Man erzielt eine Oberfläche, die von der eines galvanisierten Metallteils optisch und haptisch kaum zu unterscheiden ist. Dies machen sich Automobil- und Luftfahrtindustrie zu Nutze, da in diesen Bereichen die Gewichtsreduzierung eine zentrale Rolle spielt. Auch in anderen Bereichen gewinnt die Galvanisierung von Kunststoffen zunehmend an Bedeutung. In der Elektronikindustrie ist eine Abschirmung notwendig, um die elektromagnetische Umweltbelastung zu verringern, die vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird [1] [2].

Auch die 3D-MID-Technik zur Herstellung von Kunststoffbauteilen mit integrierten Leiterbahnen ist eine zukunftsweisende Technologie, obwohl ihr Umsatzvolumen gegenüber dem konventionellen Leiterplattenmarkt in Europa 1997 nur mit ca. 0,8 % beziffert wurde [3].

Die elektrolytische Oberflächenbeschichtung von Kunststoffen mit Metall ist ein komplexer Vorgang. Grundsätzlich muss die nicht leitende Oberfläche des Kunststoffteils so vorbehandelt werden, dass das Schichtsystem, das anschließend aufgebracht wird, fest mit dem Kunststoffsubstrat verbunden ist. Diese Vorbehandlung macht einen der wichtigsten Prozessschritte des Produktionsvorgangs aus. Nach dem speziell auf Kunststoffe ausgerichteten Vorbehandlungsprozess kann die eigentliche elektrolytische Beschichtung beginnen, welche identisch mit der Abscheidung auf einem Metallbauteil ist. Theoretisch lassen sich alle Kunststoffe galvanisieren. Für die Bearbeitung von großen Stückzahlen sind jedoch nur sehr wenige Polymere geeignet, da die meisten Kunststoffe eine sehr aufwendige Vorbehandlung erfordern.

3.2.1 Verfahrensschritte

Im Jahr 2004 wurde im Kunststoffbereich eine Oberfläche von ca. 2.000.000 dm2 pro Tag galvanisiert, wovon ca. 57 % auf die Automobilindustrie und 34 % auf den Sanitärbereich entfallen [4]. Dabei handelt es sich bei ca. 90 % der Rohlinge um ABS- und PC/ABS-Kunststoffe [5]. Darüber hinaus wird serientechnisch nur noch PA galvanisiert. Einige weitere Kunststoffe, die speziell galvanisiert werden können, sind z. B. PP oder PEI. Im Folgenden wird daher der übliche Vorgang des Galvanisierens für ABS und PC/ABS näher beschrieben.

3.2.1.1 Beizen

Das Beizen, auch chemisches Aufrauen genannt, ist der erste Schritt der Vorbehandlung, von ABS und ABS-Blends. Die hierfür verwendete Beize besteht aus nahezu gleichen Teilen Chromtrioxid und konzentrierter Schwefelsäure (jeweils ca. 375 g/l). Diese Chrom-Schwefelsäure wird zum Beizen auf 60 bis 65 °C erwärmt. Die Beizzeit beträgt für reines ABS ca. 8 bis 12 min., für PC/ABS erhöht man sie auf 12 bis 16 min. Abweichungen von diesen Angaben sind aber durch praktische Erfahrungen durchaus normal. Durch das Beizen erfolgt die Herausoxidierung der Butadien-Phase, die von der Chrom-Schwefelsäure stärker angegriffen wird als die Kunststoffmatrix (siehe Bild 3.1). So bilden sich bei Einhaltung der Beizzeit Kavernen, in denen sich die später aufgebrachte Metallschicht verankert.

Bild 3.1 Schematische Querschnitte durch eine unbehandelte und gebeizte Oberfläche

Schon beim Beizen werden Fehler im Spritzgießprozess signifikant hervorgehoben. Der Beizvorgang benötigt an spannungsreichen Stellen des Werkstücks weniger Zeit, als an den spannungsarmen Stellen. Ist dieser Unterschied zu groß, ist eine haftfeste Galvanisierung nicht möglich. Entweder wird die Beizzeit an den spannungreichen Stellen überschritten und es erfolgt eine Überbeizung, wobei die Hartphase irreversibel geschädigt wird, oder an den spannungsarmen Stellen reicht die Beizzeit nicht aus und es können keine ausreichend großen Kavernen geschaffen werden.

Über das eigentliche Beizen hinaus reinigt die Chrom-Schwefelsäure die Teile von leichten Verschmutzungen, was nicht gezielt ausgenutzt und übertrieben werden sollte. Des Weiteren wird die Oberfläche hydrophil, was unabdingbar für die weiteren Bearbeitungsschritte ist. Silikonhaltige Beläge und Fette sind durch das Beizen nicht entfernbar.

3.2.1.2 Reduzieren

Die in der Beize...

 

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