Global Hack - Hacker, die Banken ausspähen. Cyber-Terroristen, die Atomkraftwerke kapern. Geheimdienste, die unsere Handys knacken.

Marc Goodman

Global Hack

Hacker, die Banken ausspähen. Cyber-Terroristen, die Atomkraftwerke kapern. Geheimdienste, die unsere Handys knacken.

2015

600 Seiten

Format: ePUB

E-Book: €  9,99

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ISBN: 9783446444645

 

VORWORT


Der irrationale Optimist:
Wie ich wurde, was ich bin


Mein Einstieg in die Welt des Hightech-Verbrechens war recht unspektakulär. Im Jahre 1995 arbeitete ich als Ermittler im berühmten Parker Center, dem damaligen Hauptquartier der Polizei von Los Angeles. Ich war 28 und bekleidete den Rang eines Sergeants. Eines Tages bellte mein Vorgesetzter meinen Namen quer durch das volle und geschäftige Dezernat: »Gooooodmaaaaan, bewegen Sie ihren Arsch hierher!« Ich glaubte, ich würde Schwierigkeiten bekommen, doch stattdessen stellte mir der Lieutenant jene Frage, die mein Leben verändern sollte: »Wissen Sie, wie man in WordPerfect die Rechtschreibprüfung aktiviert?«

»Klar, Chef, drücken Sie einfach Strg + F2«, entgegnete ich.

Er grinste und sagte: »Ich wusste doch, dass Sie der richtige Mann für diesen Fall sind.« So begann also meine Karriere als Hightech-Ermittler mit meinem ersten eigenen Fall im Bereich der Computerkriminalität. Durch mein Wissen, wie man in WordPerfect die Rechtschreibprüfung aktiviert, zählte ich Anfang der Neunziger zur polizeilichen Technik-Elite. Seit jenem Fall interessiere ich mich nicht nur brennend für die Technik an sich, sondern vor allem auch für ihre illegalen Anwendungen. Obwohl ich erkenne, welcher Schaden durch rechtswidrig eingesetzte Technologien entsteht, finde ich es trotzdem faszinierend, wie clever und innovativ Kriminelle zur Erreichung ihrer Ziele vorgehen.

Um die allerneuesten Technologien in ihre modi operandi aufzunehmen, bringen sich Verbrecher regelmäßig auf den neuesten Stand. Die Zeiten, da sie die Ersten waren, die einen Pager mit sich herumtrugen und kiloschwere Mobiltelefone verwendeten, um sich gegenseitig verschlüsselte Botschaften zu schicken, sind längst vorbei. Kriminelle Vereinigungen wie die mexikanischen Drogenkartelle verfügen heute über eigene, landesweite Telekommunikationssysteme.1 Man stelle sich nur einmal vor, welcher Raffinesse es bedarf, ein landesweit voll funktionsfähiges, verschlüsseltes Telekommunikationsnetzwerk zu errichten – das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass viele Amerikaner immer noch keinen brauchbaren Handy-Empfang haben.

Organisierte Banden machen sich neue Technologien in der Regel früh zu eigen. Lange, bevor es der Polizei überhaupt in den Sinn kam, entdeckten sie das Internet für sich. Seitdem sind sie den Behörden immer eine Nasenlänge voraus. Die Schlagzeilen sind voll von Geschichten über 100 Millionen gehackter Internetkonten hier und 50 online gestohlenen Millionen dort. Die Entwicklung dieser Verbrechen ist frappierend und schreitet leider immer schneller voran.

Gegenstand dieses Buches ist nicht einfach, was sich gestern ereignet hat oder heute ereignet. Im Fokus steht auch nicht die Frage, wie lang ein Passwort sein sollte. Vielmehr geht es darum, wohin wir morgen gehen werden. Im Zuge meiner Nachforschungen und Ermittlungen, zunächst als Angehöriger des Los Angeles Police Department, später in Zusammenarbeit mit bundesweiten und internationalen Organisationen zur Verbrechensbekämpfung, hatte ich mit Kriminellen zu tun, die weit über die heutige Cyberkriminaliät hinaus in neue Bereiche wie Robotik, virtuelle Realität, künstliche Intelligenz, 3-D-Druck und synthetische Biologie vorgedrungen waren. In den meisten Fällen sind sich meine Kollegen von Polizei und Regierung, mit denen ich mich auf der ganzen Welt getroffen habe, dieser bedrohlichen technologischen Entwicklungen nicht bewusst, geschweige denn ihrer zunehmenden Anwendung durch das organisierte Verbrechen und den Terrorismus. Da ich jemand bin, der sein Leben in den Dienst der öffentlichen Sicherheit gestellt hat, bereiten mir die Trends, die ich allerorten beobachte, große Sorgen.

Manch einer mag mich als Panikmacher oder übertriebenen Pessimisten verteufeln, doch ich bin keines von beiden. Angesichts dessen, was ich über unsere Zukunft erfahren habe, bin ich vielmehr optimistisch – vielleicht »irrational optimistisch«. Um es ganz klar zu sagen: Ich bin kein Technikfeind. Ich bin auch nicht so töricht, anzunehmen, die Technik wäre der Quell allen Übels auf der Welt. Ganz im Gegenteil: Ich glaube an die ungeheure Kraft der Technik als treibende Kraft des Guten. Man sollte auch nicht vergessen, dass sie vielgestaltige Möglichkeiten zum Schutz des Einzelnen und der Gesellschaft bietet. Allerdings war die Technik schon immer ein zweischneidiges Schwert. Meine Erfahrungen mit echten Kriminellen und Terroristen auf sechs Kontinenten haben mir eindeutig gezeigt, dass die Mächte des Bösen niemals zögern, aufkommende Technologien zu nutzen und sie zum Schaden der breiten Masse einzusetzen. Die Tatsachenlage und mein Bauchgefühl sagen mir zwar, dass wir noch beachtliche Hürden vor uns haben (denen Regierung und Industrie leider nicht genug entgegensetzen), doch möchte ich an die Technik-Utopie glauben, die uns Silicon Valley einst versprochen hat.

Dieses Buch ist die Geschichte der Gesellschaft, die wir mit unseren technologischen Mitteln aufbauen, und wie eben diese Errungenschaften gegen uns gerichtet werden können. Je mehr wir unsere Geräte und unser Leben mit der globalen Informationsstruktur vernetzen – sei es via Mobilfunk, soziale Netzwerke, Fahrstühle oder selbstfahrende Autos – desto verwundbarer werden wir für jene, die wissen, wie die zugrundeliegenden Technologien funktionieren, und sie zu ihrem Vorteil und zum Schaden des kleinen Mannes nutzen. Kurz: Wenn alles vernetzt ist, ist alles angreifbar. Die Technik, die wir gewohnheitsmäßig in unserem Leben akzeptieren, ohne uns große Gedanken darüber zu machen, kann uns eines Tages leicht zur Stolperfalle werden.

Indem ich die neuesten kriminellen und terroristischen Methoden beleuchte, hoffe ich, bei meinen Freunden in der Politik und in Sicherheitskreisen eine angeregte und längst überfällige Diskussion anzustoßen. Die meisten sind mit herkömmlichen Verbrechen zwar bereits überlastet, doch müssen sie sich früher oder später mit der rasanten Entwicklung von Technologien auseinandersetzen, die unsere globale Sicherheit wie ein Tsunami des Bösen destabilisieren könnte.

Mehr noch: Ich habe vor langer Zeit geschworen, andere »zu schützen und ihnen zu dienen«; daher will ich dafür sorgen, dass der breiten Öffentlichkeit die erforderlichen Fakten an die Hand gegeben werden, damit Bürger sich selbst, ihre Familien, ihre Unternehmen und ihre Gemeinden gegen eine wachsende Bedrohung verteidigen können, mit denen sie viel früher als erwartet konfrontiert werden. Dieses Wissen »Insidern« vorzubehalten, die bei der Regierung, der Polizei und im Silicon Valley arbeiten, reicht schlicht nicht aus.

Während meiner Zeit im öffentlichen Dienst war ich unter anderem für Organisationen wie das LAPD, das FBI, den U. S. Secret Service und Interpol tätig. Dabei wurde mir zunehmend klar, dass Kriminelle und Terroristen weltweit wesentlich innovativer waren als die Behörden, und die »Guten« immer weiter ins Hintertreffen gerieten. Auf der Suche nach effektiveren Methoden zur Bekämpfung der wachsenden Verbrecherlegionen, die neueste Technologien missbrauchten, quittierte ich meinen Dienst und zog ins Silicon Valley, um mehr darüber zu erfahren, was als Nächstes geschehen würde.

In Kalifornien tauchte ich in eine Gemeinde technischer Innovatoren ein, um herauszufinden, wie sich ihre neuesten wissenschaftlichen Entdeckungen auf den Normalbürger auswirken würden. Ich besuchte die Sprösslinge des Silicon Valley und freundete mich mit einigen hochbegabten Mitgliedern der Start-up-Community San Franciscos an. Ich wurde an die Fakultät der Singularity University berufen, eine erstaunliche Institution auf dem Gelände des Ames Research Center der NASA, wo ich mit einer Reihe hervorragender Astronauten, Robotiker, Daten- und Computerwissenschaftler und synthetischer Biologen zusammenarbeitete. Diese Männer und Frauen leisten Pionierarbeit. Sie besitzen die Fähigkeit, über den Tellerrand der heutigen Welt zu blicken und das gewaltige Potenzial einer Technik freizusetzen, die eine Antwort auf die drängendsten Fragen der Menschheit liefern kann.

Viele Unternehmer, die in Silicon Valley mit Hochdruck an unserer technologischen Zukunft arbeiten, machen sich jedoch gefährlich wenig Gedanken um politische, rechtliche oder ethische Aspekte und übersehen die Sicherheitsrisiken, die ihre Schöpfungen für den Rest der Gesellschaft darstellen. Da ich selbst schon Kriminellen Handschellen angelegt und mit Polizeikräften in über 70 Ländern zusammengearbeitet habe, betrachte ich die potenziellen Risiken neuer Technologien aus einem ganz anderen Blickwinkel als die arglosen Menschen, die solche Neuerungen meist unkritisch in ihren Alltag einbinden.

Aus diesem Grund habe ich das Future Crimes Institute gegründet. Ziel war es, meine eigenen Erfahrungen als Straßenpolizist, Ermittler, internationaler Antiterror-Analyst und – seit Kurzem – Silicon-Valley-Insider zu nutzen und eine Gemeinschaft gleichgesinnter Experten zusammenzubringen, die sowohl den negativen als auch den positiven Auswirkungen rasanter technologischer Entwicklungen begegnen kann.

Mit Blick auf die Zukunft bereiten mir insbesondere die Omnipräsenz der Computertechnologie in unserem Leben und die damit verbundene Abhängigkeit Sorgen. Dadurch werden wir zunehmend angreifbar, und zwar in einer Art und Weise, die die meisten von uns nicht einmal ansatzweise verstehen. Die gegenwärtige Komplexität von Systemen und deren Interdependenzen nehmen stetig zu. Dennoch gibt es Einzelne und Gruppen, die sie zum Schaden aller rasch durchschauen und in Echtzeit...

 

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