Der große Beutezug - Chinas stille Armee erobert den Westen

Juan Pablo Cardenal, Heriberto Araújo

Der große Beutezug

Chinas stille Armee erobert den Westen

2014

390 Seiten

Format: ePUB

E-Book: €  18,99

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ISBN: 9783446439269

 

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE


Aus dem Spanischen übersetzt von Katja Hald

Ein Buch über einen so dynamischen und komplexen Vorgang wie die internationale Ausdehnung Chinas zu schreiben, birgt zweifellos gewisse Risiken. Wie die folgenden Seiten zeigen werden, handelt es sich beim Aufstieg des asiatischen Riesen um ein zweischneidiges Phänomen mit Licht- und Schattenseiten. Der Grat zwischen positiven und negativen Auswirkungen ist schmal, aber genau diesen muss man entlanggehen, um die Ursachen dieser weltverändernden Ereignisse zu begreifen.

Seit dem Erscheinen der englischen Ausgabe im Februar 2013 hätten die in diesem Buch angesprochenen Phänomene durchaus von aktuellen Ereignissen eingeholt werden können. Wir sprechen hier von plötzlichen Veränderungen mit globaler Wirkung, wie beispielsweise dem Tod von Hugo Chávez. Als Schlüsselfigur Lateinamerikas war er in Venezuela zu Beginn dieses Jahrhunderts zu einem wichtigen Verbündeten Chinas geworden, zumindest bis zur Machtverschiebung im chinesischen Regime mit Xi Jinping als neuem Staatspräsidenten. Bislang ist jedoch nichts dergleichen geschehen.

Ganz im Gegenteil. Je mehr Zeit verstreicht, umso mehr gewinnt alles auf diesen Seiten Beschriebene an Bedeutung. Keines der in Der große Beutezug angesprochenen Phänomene hat bislang seine Wirkkraft verloren, vielmehr haben sich die aufgestellten Thesen und grundlegenden Schlussfolgerungen sogar noch bekräftigt. Aufgrund der Schnelligkeit und Größe des Riesen vollzieht sich dessen Aufstieg von Teheran bis San Juan de Marcona (Peru) und von Luanda bis Hanoi mit überwältigender Macht. China hüllt sich jedoch auch in einen obskuren Nebel, der seine Aktivitäten in den Entwicklungsländern verschleiert.

Das von deutschen Lektoren angemessen aktualisierte Thema dieses Buches ist der Einmarsch Chinas in Afrika, Asien, Lateinamerika und im Mittleren Osten. Anhand zahlreicher menschlicher Schicksale und mehr als 500 Interviews wird dargelegt, wie China sich seine zukünftige Versorgung mit Bodenschätzen sichert, neue Märkte erschließt, solide Verbündete schafft und so zu einer autokratischen Supermacht aufsteigt, ohne dass diese Eroberung der Welt einer Kontrolle durch nennenswerte Gegenkräfte unterworfen wäre. Dieses Buch wird aber auch beleuchten, welche Konsequenzen jene Länder zu erwarten haben, die von Investitionen, Finanzierungen und anderen Hilfen aus dem Reich der Mitte profitieren.

Die Verschärfung der Krise von 2012 – deren schmerzliche Auswirkungen vor allem in Europa zu spüren sind – hat die im Laufe der notwendigen zweijährigen Nachforschungen zu diesem Buch herangereiften Hypothesen nur noch bestärkt: Die unerbittlich voranschreitende Expansion Chinas mit ihrer globalen Zielsetzung wird durch die Wirtschaftskrise im Westen zusätzlich vorangetrieben. Mehr noch, die Krise hat die Präsenz Chinas nicht nur in den Entwicklungsländern verstärkt, sondern auch dazu geführt, dass der asiatische Riese nun an die Tore des Abendlandes (insbesondere Europas) klopft, wo sich ihm aufgrund der wirtschaftlichen Probleme ganz neue Möglichkeiten eröffnen.

Die Eroberung des Planeten durch China ist also in seine zweite Phase getreten: den progressiven Eintritt in die westlichen Märkte. China setzt dazu die unbestreitbare Macht seines Staatskapitalismus ein: unerschöpfliche finanzielle Ressourcen, Einfluss und Überzeugungskraft seiner Diplomatie, die nicht immer zuverlässige Kompetenz seiner genossenschaftlichen Großbetriebe, Intelligenz und Tatkraft von Millionen unermüdlicher Unternehmer und die wachsende Nachfrage nach chinesischen Produkten, mit denen es immer schwieriger wird, zu konkurrieren.

Schätzen Sie beispielsweise einen guten Bordeaux, dann überrascht es Sie vielleicht, zu erfahren, dass chinesische Investoren zwischen 2010 und 2012 einen Großteil ihrer Geldanlagen in den Anbaugebieten dieser hochwertigen Weine tätigten und dort mehr als zwei Dutzend Schlösser und Weingüter erwarben. Oder wenn Sie sich mehr für die Welt der Haute Couture interessieren, wissen Sie wahrscheinlich, dass sich wohlhabende Bekleidungsindustrielle aus China längst auch in der Toskana unter dem Label »made in Italy« breitmachen, oder dass ein chinesischer Magnat in Hollywood eingefallen ist und dort die bislang größte im Ausland durch ein chinesisches Privatunternehmen vollzogene Geschäftsübernahme tätigte: Kosten 2,6 Milliarden Dollar. Und im Vereinigten Königreich und in den USA, um nur zwei der zahlreichen betroffenen Länder zu nennen, haben sich chinesische Millionäre tatsächlich auch auf die Jagd nach neuen Möglichkeiten im Immobiliengeschäft gemacht.

Aber auch das ist noch nicht alles. Die Krise ermöglicht es dem chinesischen Staat sogar, im Ausland kontrollierende Anteile an strategischen Aktivposten zu erwerben, ein Vorgang, der früher tabu war. Dank der Größe seines Geldbeutels und dem dringenden Investitionsbedarf im Westen zur kurzfristigen Schaffung von Arbeitsplätzen, gelingt es China, Hindernisse, die ihm den Zugang zu den westlichen Märkten versperren, geschickt zu umgehen. Es verschafft sich so Zugriff auf wertvolle Aktivposten oder Technologien, die für das Reich der Mitte entscheidend sind, möchte es den qualitativen Sprung zur innovativen Supermacht schaffen.

Eines der vielleicht wichtigsten Beispiele hierfür ist der erste »chinesische« Hafen in Europa, zu finden in Piräus (Griechenland). Geostrategisch gesehen einzigartig, bietet er seit 2009 (und für die nächsten 30 Jahre) der chinesischen Staatsreederei COSCO die nötige Infrastruktur, und trotz der unsicheren wirtschaftlichen Lage Griechenlands bezahlen die Griechen dafür mehr als drei Milliarden Euro. Auf gleiche Weise haben sich chinesische Staatsunternehmen auch im Elektroniksektor eines portugiesischen Vorzeigeunternehmens breitgemacht, und ein chinesischer Staatsfonds hat 8,68 Prozent der britischen Wasserwerke Thames Water, zehn Prozent des Londoner Flughafens Heathrow und sieben Prozent des französischen Unternehmens für Satellitenkommunikation Eutelsat erworben.

Die Expansion Chinas erstreckt sich sogar bis nach Deutschland, bis in das europäische Land, welches der Krise bisher am besten standhielt. 2011 wurde der asiatische Riese dort zahlenmäßig zum führenden ausländischen Investor und überbot nach Angaben der Germany Trade and Invest (GTAI) mit 158 Investitionen zum ersten Mal die Vereinigten Staaten (110). Chinesische Übernahmen, wie beispielsweise die von Putzmeister durch Sany oder die Investition von 730 Millionen Euro von Weichai Power in den deutschen Motorenhersteller Kion, haben viel Aufsehen erregt, und die Sorge, welche Folgen das Auftauchen eines neuen Konkurrenten in der weltweit agierenden Industrie für Deutschland haben wird, ist groß.

Pekings stetige Weiterentwicklung zum zukünftigen Großinvestor feuert diese Debatte weiterhin an. Für Deutschland (welches die Hälfte der Exporte der EU nach China bestreitet) ist Peking auch sozialwirtschaftlich gesehen unverzichtbar. Schon jetzt geht man davon aus, dass der Riese bis 2020 rund zwei Milliarden Euro ins Land investiert haben wird. Währenddessen profitieren die Korporationen des asiatischen Landes vom Pragmatismus der bilateralen Beziehungen beider Länder. Für China wird Deutschland zu einer Goldgrube, in der es sich in den Bereichen bedienen kann, in denen deutsche Firmen weltweit führend sind: Technologie, Know-how und Markenprodukte (etwas, das sie selbst nicht produzieren). Aus deutscher Sicht ist das Öffnen der Pforten für chinesische Unternehmen ein einfaches Mittel gegen die fehlende Liquidität, es bedeutet aber auch eine nicht absehbare Veränderung für deutsche Familienunternehmen und eine unsichere Zukunft für die Wirtschaftssektoren, in denen chinesische Unternehmen zu harten Konkurrenten werden.

In Europa lösen die chinesischen Investitionen nicht dasselbe Misstrauen aus wie in den Entwicklungsländern, es sei denn, es geht um strategisch bedeutende Wirtschaftssektoren. Europa besitzt ein stabiles System an Gegenkräften und eine Gewaltenteilung, welche eine Kontrolle der Tätigkeiten ausländischer und einheimischer Firmen garantiert. In vielen afrikanischen und asiatischen Ländern ist dies nicht der Fall. Diese Kontrollfunktionen verhindern jedoch nicht, dass die chinesischen Investitionen mit einem gewissen Argwohn betrachtet werden. Bei der Übernahme mittelständischer Unternehmen stellt sich die Frage, ob China tatsächlich eine Wertsteigerung bringen wird und ob deutsche Beschäftigte auch langfristig weiterbeschäftigt werden, oder ob sich China die Technologien des Unternehmens aneignen und dann letztendlich die Produktion verlagern wird.

Diese Fragen sind nicht unberechtigt. Laut führender Wirtschaftsexperten sind Technologie und Know-how die einzigen Waffen, die es den westlichen Unternehmen und Wirtschaftsbetrieben ermöglichen, sich dem Aufstieg Asiens entgegenzustellen. Wie können wir mit chinesischen Verkehrsflugzeugen oder indischer Software konkurrieren? Nur durch Innovationen. Innovation und das einzigartige Wissen einer 300 Jahre andauernden wirtschaftlichen Entwicklung bilden die Säulen der westlichen Ökonomie. Vielleicht ist gerade deshalb der Wissenstransfer nach China ein so sensibles Thema. Unternehmen wie Siemens oder der französische Konzern AREVA, die von einem enormen chinesischen Absatzmarkt profitieren, müssen darum kämpfen, sich ihren durch Forschung und Entwicklung erarbeiteten Marktvorteil zu erhalten und gleichzeitig auf dem lukrativen chinesischen Mark Gewinne einzufahren.

Nichtsdestotrotz wird diese technologische Vormachtstellung derzeit durch neue Methoden der Industriespionage bedroht, wodurch die in mehr als 30 Jahren barbarischer...

 

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