Praktische Umsetzung der Maschinenrichtlinie - Risikobeurteilung - Verkehrsfähigkeit - Schulungen - Audits - Wesentliche Veränderung - Rechtsprechung

Carsten Schucht, Norbert Berger

Praktische Umsetzung der Maschinenrichtlinie

Risikobeurteilung - Verkehrsfähigkeit - Schulungen - Audits - Wesentliche Veränderung - Rechtsprechung

2019

392 Seiten

Format: PDF, ePUB

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ISBN: 9783446460294

 

1 Einleitung

Die Herstellung von Maschinen und unvollständigen Maschinen, deren Import in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bzw. in die Europäische Union (EU) sowie Handel finden nicht im rechtsfreien Raum statt. Ganz im Gegenteil werden die betreffenden Vorgänge in der geltenden Rechtsordnung zum Anlass für die Schaffung ganz unterschiedlicher (produkt-)rechtlicher Regelungen genommen. Bevor die praktisch wichtigen Einzelfragen im Zusammenhang mit Warenherstellung und -vertrieb von Maschinen in den Fokus des Interesses gerückt werden, soll zunächst der juristische Rahmen im Sinne einer Grundlegung skizziert werden.

Im Folgenden wird zunächst auf den Regelungsrahmen eingegangen, der die produktsicherheitsrechtliche Verkehrsfähigkeit betrifft (s. Kap. 1.1), bevor die Zwecke des Produktsicherheits- und Maschinenrechts (s. Kap. 1.2) und das Maschinenrecht als Rechtsmaterie (s. Kap. 1.3) in den Fokus des Interesses gerückt werden. Im Anschluss daran werden die historische Entwicklung des europäischen Maschinenrechts einerseits (s. Kap. 1.4) sowie „New Approach“ und „New Legislative Framework“ (NLF) als zentrale industriepolitische Konzepte auf der Ebene des europäischen Produktionssicherheitsrechts andererseits (s. Kap. 1.5) dargestellt.

1.1 EG-Maschinenrichtlinie und Maschinenverordnung

Die Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 5. 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (sog. EG-Maschinenrichtlinie) und die Neunte Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Maschinenverordnung – 9. ProdSV) vom 12. 5. 1993 sind die beiden zentralen produktsicherheitsrechtlichen Rechtsakte für den Vertrieb von Maschinen und unvollständigen Maschinen in der Europäischen Union (EU) bzw. in der Bundesrepublik Deutschland. Während die EG-Maschinenrichtlinie europäisches Recht darstellt, handelt es sich bei der Maschinenverordnung um deutsches Recht. Was das Verhältnis der beiden Rechtsakte zueinander anbelangt, handelt es sich bei der Maschinenverordnung um den nationalen (deutschen) Umsetzungsakt in Bezug auf die EG-Maschinenrichtlinie. Der Grund für dieses Umsetzungserfordernis im nationalen Recht liegt darin, dass das europäische Maschinenrecht in Gestalt einer Richtlinie, konkret der Richtlinie 2006/42/EG, erlassen wurde. Die Maschinenverordnung wird wiederum auf das Gesetz über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt (Produktsicherheitsgesetz – ProdSG) vom 8. 11. 2011 gestützt. Für die Anwendbarkeit der EG-Maschinenrichtlinie bzw. der Maschinenverordnung spielt es im Übrigen keine Rolle, ob es sich um Verbraucherprodukte (sog. B2C-Produkte1) oder um Nicht-Verbraucherprodukte (sog. B2B-Produkte2) handelt.

Die genannten produktsicherheitsrechtlichen Rechtsakte sind im Ergebnis die zentralen Bestimmungen für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau, der wiederum ein wichtiger technischer Teilsektor und einer der industriellen Kernbereiche der Wirtschaft in Deutschland und der EU ist.

Wer Maschinen in anderen EU-Mitgliedstaaten in Verkehr bringt bzw. in Betrieb nimmt, muss sich zwar ebenfalls mit der EG-Maschinenrichtlinie befassen; an die Stelle der deutschen Maschinenverordnung tritt indes der jeweilige nationale (z.B. französische) Umsetzungsakt.

Richtlinie und Verordnung als europäische Rechtsakte

Die Richtlinie ist zwar für alle 28 bzw. – mit Blick auf den kurz bevorstehenden „Brexit“ und dem damit in Bezug genommenen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) – 27 EU-Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt aber den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel, Art. 288 Unterabs. 3 AEUV. Aus diesem Grund musste die Bundesrepublik Deutschland – wie jeder andere EU-Mitgliedstaat – die Richtlinie 2006/42/EG innerhalb der vorgegebenen Umsetzungsfristen in nationales Recht transformieren. Im Unterschied dazu hat die europäische Verordnung gemäß Art. 288 Unterabs. 2 AEUV allgemeine Geltung, d. h. sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem EU-Mitgliedstaat. Das europäische Produktsicherheitsrecht wird derzeit noch von Richtlinien geprägt; allerdings bestehen unübersehbare Tendenzen zugunsten der Verordnung. Das europäische Bauproduktenrecht etwa wurde im Jahr 2011 als Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 305/2011; sog. EU-Bauproduktenverordnung) erlassen, wobei die EU-Bauproduktenverordnung die zuvor geltende Richtlinie 89/106/EWG (sog. Bauproduktenrichtlinie) ablöste. Darüber hinaus wurde erst kürzlich die Richtlinie 89/686/EWG (sog. PSA-Richtlinie) durch eine entsprechende PSA-Verordnung (Verordnung (EU) 2016/425)3 abgelöst.

Rechtsetzungstechnik im europäischen Maschinenrecht und derzeitiger Evaluierungsprozess

Vor diesem Hintergrund wird aufmerksam zu beobachten sein, ob nicht auch das europäische Maschinenrecht zukünftig im Wege der europäischen Verordnung erlassen werden wird. In der Tat deuten die derzeitigen Reformüberlegungen auf europäischer Ebene darauf hin, dass die EG-Maschinenrichtlinie in (freilich nicht ganz naher) Zukunft in eine neue EU-Maschinenverordnung überführt werden wird. Hintergrund ist das Programm der Europäischen Kommission namens REFIT, wonach EU-Rechtsvorschriften auf ihre Leistungsfähigkeit, Funktionsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit untersucht werden sollen. Nach dem derzeitigen Stand des Evaluierungsprozesses in Bezug auf das europäische Maschinenrecht kommt ein Vorschlag der Kommission für eine neue EU-Maschinenverordnung erst im Jahr 2020 in Betracht. Eine Veröffentlichung der EU-Verordnung könnte dann im Jahr 2022 stattfinden, sodass mit ihrem Geltungsbeginn wohl nicht vor Ende 2023 zu rechnen ist.

Produktsicherheitsrecht als öffentliches Recht

Das Produktsicherheitsrecht ist Bestandteil des öffentlichen Rechts, welches in der deutschen Rechtsordnung vom Zivil- und Strafrecht abgegrenzt wird. Gegenstand des öffentlichen Rechts ist die Regelung des Verhältnisses zwischen den Trägern hoheitlicher Gewalt, d. h. dem Staat, und den Bürgern (als Privatrechtssubjekten). Das deutsche Produktsicherheitsgesetz sowie die deutsche Maschinenverordnung stellen vor diesem Hintergrund öffentliches Recht dar, weil die marktüberwachungsrechtlichen Befugnisse (insbesondere zur Anordnung von Marktüberwachungsmaßnahmen) mit den staatlichen Marktüberwachungsbehörden ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen.

Mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsakte (Verfassung, Gesetz, Rechtsverordnung und Satzung), welche in der deutschen Rechtsordnung existieren, kann eine sog. Normenpyramide gebildet werden. Diese Normenpyramide bildet eine Normenhierarchie ab. Danach steht unter Zugrundelegung des Bundesrechts das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland an der Spitze, sodass die darunter befindlichen Rechtsakte wie das Produktsicherheitsgesetz als Gesetz des Bundes ausnahmslos im Einklang mit dem Grundgesetz stehen müssen. Rechtsverordnungen wie die Maschinenverordnung wiederum stehen unterhalb des Gesetzes. Aus diesem Grund darf z. B. die Maschinenverordnung (Rechtsverordnung) nicht gegen das Produktsicherheitsgesetz (Gesetz) verstoßen.

Im Übrigen lässt sich eine solche Normenpyramide nicht nur für die Rechtsakte des Bundes bilden; auf der Ebene der 16 deutschen (Bundes-)Länder ergibt die Normenpyramide ein vergleichbares Bild. Das Landesrecht muss seinerseits freilich auch mit dem Bundesrecht (etwa dem Grundgesetz) im Einklang stehen. Produktsicherheitsrechtlich relevant sind auf der Ebene des Landesrechts solche Rechtsakte, mithilfe derer Zuständigkeiten für den Vollzug des Produktsicherheitsgesetzes und der darauf gestützten Rechtsverordnungen wie z. B. der Maschinenverordnung festgelegt werden. Beispielhaft sei an dieser Stelle die baden-württembergische Verordnung des Umweltministeriums über Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Produktsicherheit (Produktsicherheits-Zuständigkeitsverordnung – ProdSZuVO) vom 13. 2. 2012 genannt.

Tabelle 1.1 Normenpyramide in der deutschen Rechtsordnung

Bund

Land

Grundgesetz (Verfassung)

Landesverfassung

Gesetz

       z. B. Produktsicherheitsgesetz

Gesetz

Rechtsverordnung der Bundesregierung

       z. B. Maschinenverordnung (9. ProdSV)

Rechtsverordnung der Landesregierung

       z. B. Produktsicherheits-Zuständigkeitsverordnung – ProdSZuVO in Baden-Württemberg

Satzung

Satzung

1.2 Zwecke des Produktsicherheits- und Maschinenrechts

Primärer Zweck des Produktsicherheitsrechts ist der Schutz von Sicherheit und Gesundheit von Personen bei der Verwendung von Produkten. Daneben werden freilich auch unbeteiligte Dritte (sog. innocent bystander) in den Schutzbereich produktsicherheitsrechtlicher Bestimmungen einbezogen. Bei diesem Personenkreis handelt es sich um solche Personen, die ein Produkt zwar nicht...

 

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