Wirtschaftsmacht Indien

Oliver Müller

Wirtschaftsmacht Indien

2006

318 Seiten

Format: PDF, Online Lesen

E-Book: €  15,99

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ISBN: 9783446410763

 

4. Inder in Nadelstreifen erobern die Welt – Indiens Unternehmer (S.106)

Für Gurcharan Das hat der Boom in seinem Land einen einfachen Grund: „Nachts schläft die Regierung, dann wächst Indiens Wirtschaft", meint der frühere Asien-Chef von Procter &, Gamble. Er zählt zu den bekanntesten Wirtschaftsautoren seines Landes und ist ein scharfer Kommentator. Über Politiker bringt Das kein gutes Wort über die Lippen, aber das dämpft seinen Optimismus keinen Deut.

„Unser Land ist in den letzten 15 Jahren von einigen Clowns regiert worden", stellt er fest, „aber keiner von ihnen konnte verhindern, dass es im Schnitt mit sechs Prozent im Jahr gewachsen ist." Indiens wirtschaftlicher Aufstieg ist für ihn durch Politiker nicht aufzuhalten: „Der Marsch unseres Landes in den Wohlstand wird von einem Autopiloten gesteuert", glaubt Das. Dieser Autopilot sind seine Unternehmer.

Sie sind der Motor für jenen marktgetriebenen Wandel von unten, der Indiens Entwicklungsmodell am stärksten von dem Chinas unterscheidet. Ihr Erfolg hängt nicht von der Weisheit einer Führung ab, die niemandem Rechenschaft schuldig ist und ihre Gunst über Nacht entziehen kann. Politische Kontakte oder Vorzugskredite öffentlicher Banken sind für ihre Firmen nicht entscheidend.

Mischt sich der Staat widerrechtlich in ihre Geschäfte, klagen sie vor unabhängigen Gerichten dagegen. Genauso wie Indiens Bürger ungleich größere politische Freiheiten genießen als Chinesen, profitieren seine Unternehmer von einem viel größeren wirtschaftlichen Handlungsspielraum. Demokratie und Kapitalismus passen in Indien wie überall deshalb ideal zueinander, weil beide individuelle Initiative fördern. Ein erster Indikator für die breite, quirlige Unternehmerschicht des Landes sind die Kapitalmärkte: An Bombays Börsen sind 8000 Firmen notiert.

Davon haben rund 100 eine Marktkapitalisierung von über einer Milliarde Dollar. Nur an der größten Börse der Welt, der New York Stock Exchange, sind mehr Firmen gelistet. Zudem sind Indiens Firmen weitaus besser geführt als die in den meisten anderen Schwellenländern. In Corporate Governance-Studien erreicht das Land stets Spitzenplätze unter den „Emerging Markets".

Fondsgesellschaften aus dem Westen halten inzwischen einen großen Teil der Aktien an vielen Standardwerten. Das zwingt Führungskräften internationale Managementstandards auf, verpflichtet sie zu Effizienz und zur Einhaltung von Bilanzregeln. Der Unterschied zu China könnte nicht größer sein. An dessen Börsen sind fast ausschließlich undurchsichtige Staatsfirmen notiert, für die Gewinne nur eines unter vielen Zielen sind. Sie sind weit weniger profitabel als ihre indischen Konkurrenten. Dabei wächst ihr Land schneller.

Gurcharan Das hat Recht: Bis auf seinen Rückzug aus der Wirtschaft hat der Staat geringen Anteil an Indiens Aufschwung. Das Land blüht trotz einer Regierung, die sich in vielen Fällen als Bremser erweist. Doch das gleicht eine Heerschar pfiffiger Kapitalisten mit Ideen aus. Ihre Findigkeit und ihre Risikofreude schaffen ein Labor, in dem neue Firmen entstehen mit ungewöhnlichen Geschäftsmodellen, die international Beachtung finden. Anders als in China konnten Unternehmer in Indiens Mischwirtschaft mit gestutzten Flügeln überwintern und dann ein Comeback feiern.

In dem langen Winterschlaf haben sie Charakterzüge eingeübt, die ihnen heute zugute kommen: Flexibilität, Improvisationsgabe, Mut und Widerstandskraft. Indiens Unternehmer sind harte Zeiten gewohnt. Hungrig ernten sie daher heute die Früchte der Liberalisierung.

Früher mussten sie all ihre Energie aufwenden, um gegen ein sozialistisches Plan- und Kontrollsystem zu bestehen. Nun nutzen sie ihre Tatkraft zum Meistern der Infrastrukturprobleme und der Verwaltungsmaschinerie, mit denen sie der Staat noch immer peinigt.

 

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