FEM mit NASTRAN

Rüdiger Heim

FEM mit NASTRAN

2005

362 Seiten

Format: PDF, Online Lesen

E-Book: €  39,99

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ISBN: 9783446403611

 

2 Hintergründe (S. 16-17)

Neue Ideen sind meistens die Kinder alter Gedanken.
Henri Bergson, frz. Philosoph, Schriftsteller und Nobelpreisträger, 1859 bis 1941

Während die Simulationstechnik in den zurückliegenden Jahren als ein Instrument zur Wissensproduktion in den wissenschaftlichen Alltag fest integriert wurde, mussten frühere Generationen von Technikern und Ingenieuren auf solche Möglichkeiten noch verzichten. Deshalb entwickelten sich auch nicht selten Ideen und Visionen, die eher vom Glauben an die Technik als durch wirklichen Erkenntnisgewinn getragen wurden.

Die Technikgeschichte weiß von vielen Ereignissen zu berichten, deren Ablauf, Ursachen und Konsequenzen mit Hilfe numerischer Simulationsverfahren heute beschrieben werden können.

2.1 Beispiele aus der Technikgeschichte

2.1.1 Der Untergang der TITANIC

Die Kollision mit einem Eisberg wurde zu einem Synonym für den Vertrauensverlust in eine von Menschenhand geschaffene Technik: Die als unsinkbar geltende RMS TITANIC havarierte bei ihrer Jungfernfahrt über den Atlantik im April 1912 und ging unter. Nur zweieinhalb Stunden nachdem der Schiffsrumpf durch einen Eisberg an insgesamt sechs Stellen beschädigt wurde, versank das Schiff vollständig. Mehr als 1.500 Passagiere und Besatzungsmitglieder starben bei diesem Schiffsunglück — auch weil die TITANIC nur mit 20 Rettungsbooten ausgerüstet war und selbst diese nicht vollständig, sondern teilweise nur zur Hälfte oder einem Drittel mit Personen besetzt waren.

Der Glaube an das Schiff hielt viele Passagiere davon ab, von Bord zu gehen — ein aus heutiger Sicht naives Vertrauen in die Aussagen von Werft und Reederei, die TITANIC sei unsinkbar. Denn während die TITANIC unterging, zerbrach ihr Schiffsrumpf sogar in wenigstens zwei Teile. Dies wurde bereits durch Aussagen von Überlebenden des Unglücks angedeutet. Elmer Z. Taylor , der als Überlebender im Rettungsboot Nr. 5 den Untergang aus einer recht geringen Entfernung betrachten musste, schrieb später: „Das Berstgeräusch, sehr deutlich auch in einem halben Kilometer Entfernung hörbar, kam - meiner Meinung nach -von dem Zerreißen der Schiffsplanken oder Teilen der Schiffshülle; deshalb brach das Heck an einem Punkt ab, der etwa in der Mitte des Schiffs lag." Gleiches beobachtete Frau C. Bounnell, eine Überlebende aus der ersten Klasse: „Das Orchester war auf dem vorderen Deck versammelt und spielte ‚Nearer My Good to Thee’, als die Reling bereits vom Wasser umspült wurde. Zu dieser Zeit waren die meisten Rettungsboote bereits etwas weiter entfernt, und wir konnten nur einige fast schüchtern klingende Takte des Liedes hören. Als wir vom Schiff wegruderten, fiel uns auf, dass es bereits keinen geradlinig verlaufenden Rumpf mehr hatte, sondern schon fast in zwei Teile zerbrochen war." Andere Quellen bestätigten solche Beobachtungen nicht, weshalb auch zunächst davon ausgegangen wurde, dass die TITANIC nicht auseinander gebrochen war, bevor sie im Atlantik unterging. Aber nachdem das Wrack des Schiffes 1985 in einer Tiefe von rund 4.000 Metern entdeckt wurde, konnte festgestellt werden, dass der Rumpf zerbrochen war4.

Ein Jahr später wurde sogar ein drittes, 17,4 Meter langes Rumpfstück aus der Schiffsmitte entdeckt. Das Geheimnis um die TITANIC - seinerzeit das größte und luxuriöseste Schiff weltweit - konnte viele Jahrzehnte nach ihrem Untergang mit Hilfe moderner Simulationsmethoden gelöst werden: Der Rumpf zerbrach bereits über der Wasserlinie aufgrund überelastischer Materialbeanspruchung. Im Rahmen einer Grundsatzuntersuchung wurden FEM-Simulationen durchgeführt, die einen Nachweis für diese Annahmen erbringen sollten5. Dafür war es zunächst wesentlich, das Gewicht des Schiffes sowie die Wasserlinie zum Zeitpunkt der Kollision mit dem Eisberg und später beim Sinken möglichst exakt zu bestimmen. Hierzu wurde auf die Daten einer anderen Studie zurückgegriffen, die 1996 veröffentlicht wurde und auch Angaben über die Metallurgie des für den Bau der TITANIC verwendeten Stahls sowie deren Nietverbindungen enthielt.

Für die RMS TITANIC wurde ein komplettes Finite-Elemente-Modell entwickelt, dessen Randbedingungen hinsichtlich Belastung, Gewicht und Wasserlinie für ein wahrscheinliches Flutungsszenario abgeleitet wurden. Dies resultierte in einer quasistatischen Betrachtung der Beanspruchung des Schiffsrumpfes zum Zeitpunkt unmittelbar vor dem Bersten der Struktur. Dabei wurden zunächst ausschließlich linear- elastische Analysen durchgeführt, d.h., die Materialbeanspruchung lässt sich in diesen Fällen als Vielfaches der jeweiligen Werkstofffließgrenze angeben, ohne das tatsächliche Fließverhalten abbilden zu müssen. Die Ergebnisse dieser Simulation lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Aufgrund gestaltungsbestimmter Spannungsüberhöhungen erreichte die Struktur ein Beanspruchungsniveau, das wenigstens dreifach, eher vierfach über der Streckgrenze des Stahls lag.

 

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