Gottfried W. Ehrenstein
Mikroskopie
Lichtmikroskopie, Polarisation, Rasterkraftmikroskopie, Flureszenzmikroskopie, Rasterelektronenmikroskopie
1 | Lichtmikroskopie |
1.1 | Mikroskopie |
Mikroskopische Untersuchungsmethoden stellen häufig die direkteste und beste Möglichkeit dar, die inneren strukturellen Merkmale von Kunststoffen zu erfassen und zu beurteilen. Da einzelne Moleküle lichtmikroskopisch nicht auflösbar sind, können nur übergeordnete Strukturen oder Beeinflussungen von größeren Bereichen identifiziert und beurteilt werden. Aufgrund des Aufbaus der Kunststoffe sind mehrphasige Systeme, wie teilkristalline Thermoplaste, Polymermischungen sowie gefüllte und verstärkte Kunststoffe leichter mikroskopisch zu beurteilen als amorphe ungefüllte Kunststoffe.
Durch geeignete Präparation und Eingriffe in die Beleuchtungsanordnung bzw. durch geeignete Wahl eines Detektors kann das unterschiedliche Reflexions- und Absorptionsvermögen des Materials zur Darstellung genutzt werden. Es können die verschiedensten Aufgabenstellungen untersucht werden.
Die häufigsten Verarbeitungs- und Beanspruchungsschäden von Formteilen, die mit Dünnschnitt- und Dünnschliffverfahren erkennbar sind, sind in Tabelle 1.1 dem im Normalfall geeignetsten Mikroskopieverfahren zugeordnet.
Tabelle 1.1 Mikroskopieverfahren für die Schadensanalyse
Al-Interferenzkontrast | DL, polarisiert | DL-Phasenkontrast | AL-Dunkelfeld | Durchlicht (DL) | Auflicht (AL) | Mit Mikroskop erkennbar bei Dünnschnitt Dünnschliff und | Untersuchung (Verarbeitungs- und Beanspruchungsfehler) |
• | Scherorientierung, teilkristalline Thermoplaste |
• | • | Scherorientierung, amorphe Thermoplaste |
• | Scherorientierung, Füll- u. Verstärkungsstoffe |
• | • | Scherorientierung, treibmittelh. Kunststoffe |
• | • | Pigmentfarben (Regranulat) |
• | Sphärolithgröße |
• | • | Faserlängen, Pigmentgröße |
• | • | • | Fremdmaterial |
• | • | Prägefolien mit Lackaufbau |
• | • | Lunker |
• | • | Mikro- und Gefügerisse |
• | Druckzeitlinien |
• | Spärolitharme Randzonen |
• | • | • | • | Medienangriffe |
• | Inhomogene Formmasse |
• | Kerb- und Spannungszustände |
• | • | • | • | • | Kalte Masseteilchen |
• | • | • | Bindenähte |
• | • | • | Schweißnähte |
• | • | Dickenmessung |
Die physikalischen Eigenschaften, wie sie an genormten Probekörpern bestimmt werden und von den Rohstoffherstellern vermittelt werden, differieren oft mit den im Bauteil realisierten, zumal das Verarbeitungsverfahren und die konstruktive Gestaltung einen erheblichen Einfluss auf die Strukturen und Eigenschaften haben. Mittels der Mikroskopieverfahren sind beispielsweise spezielle Aussagen zu folgenden damit verbundenen Effekten möglich:
Sphärolithstrukturen (Struktur und Abweichungen vom idealen Zustand durch Verarbeitungsunregelmäßigkeiten und unsachgemäße Verarbeitungsparameter bzw. Mehrfachverarbeitung
Lunker, Fehlstellen, Bindenähte, Delaminationen
Anisotropien, Molekülorientierungen und Eigenspannungen
Verunreinigungen, nicht aufgeschmolzenes Material, kalte Pfropfen, ungleiche Strukturen
Verteilung und Orientierung von Füll- und Verstärkungsstoffen, Pigmenten
Verbindung zu Einlegeteilen und anderen Komponenten
übergeordnete Molekülorientierungen, Eigenspannungen durch innere und äußere Kräfte; Deformationen durch Schadensablauf
chemische Angriffe, Crazes und übergeordnete Sphärolithstrukturen
keine Feinstrukturen (Lamellen) oder einzelne Makromoleküle oder direkte Molekülorientierungen
indirekte Hinweise auf Fehler im Werkzeugaufbau oder Bauteilkonstruktion, Gestalten von Ecken, Radien und Wanddicken, Auswerfermarkierungen
Schichtaufbauten und -dicken
1.1.1 | Einleitung |
In der optischen Dokumentation stehen vielfältige Ausrüstungen und Möglichkeiten zur Verfügung, um Objekte von der Übersicht, beispielsweise eines Schadens, bis hin zur detaillierten Aufnahme ihrer Struktur zu erfassen und zu beurteilen. Je nach geforderter Vergrößerung kann die Fotografie, die Makrofotografie, die Makro- oder Mikroskopie angewandt werden, Bild 1.1.
Die Makro- und Mikroskopie siedeln sich dabei in Vergrößerungsbereichen von etwa 5- bis 1000-fach an. Sie dienen dem Menschen im einfachsten Fall als Sehhilfe, um in einem Objekt Details zu erkennen, die mit bloßem Auge nicht mehr „aufgelöst“/erkannt werden können. In der Kunststoffanalyse werden so strukturelle Merkmale erfasst und beurteilt. Meist sind Kunststoffe bei einer lichtmikroskopischen Untersuchung kontrastlos. Durch geeignete Präparation und Eingriffe in den Strahlengang des Mikroskops können das unterschiedliche Reflexions- und Absorptionsvermögen sowie die optische Dichte und die Doppelberechnung von Kunststoffen zur Kontrastentstehung genutzt werden. So können die verschiedensten Themen untersucht werden.
Bild 1.1 Vergrößerungsbereiche der Fotografie, Makro- und Mikroskopie
1.1.2 | Grundlagen der Lichtmikroskopie |
Um dem Anwender die verschiedenen Kontrastierungsverfahren der Lichtmikroskopie nahezubringen, soll im Folgenden die prinzipielle Funktionsweise eines Mikroskops anhand der dafür erforderlichen Geräte erklärt und durch Beispielaufnahmen illustriert werden. In Bild 1.2 ist ein Lichtmikroskop, wie es sowohl im Durch- als auch im Auflichtverfahren eingesetzt wird, abgebildet.
Bild 1.2 Mikroskop (Zeiss-Axio-Imager) für das Durch- und Auflichtverfahren
Das Mikroskop nutzt zur Vergrößerung von Strukturen die sogenannte zweistufige Abbildung. Ausgehend von der Lichtquelle (Halogenlampe) gelangen die Lichtstrahlen über ein Linsen- und Spiegelsystem zur Probe. In der ersten Stufe wird durch das Objektiv ein vergrößertes Zwischenbild des Objekts an einer definierten Stelle im Mikroskoptubus erzeugt. Das reelle Luftbild wird in der zweiten Abbildungsstufe durch das Okular vergrößert und auf die Netzhaut des Auges projiziert, Bild...
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