Lean und Industrie 4.0 - Eine Digitalisierungsstrategie mit der Wertstrommethode und Information Flow Design

Markus Schneider, Kurt Matyas

Lean und Industrie 4.0

Eine Digitalisierungsstrategie mit der Wertstrommethode und Information Flow Design

2019

150 Seiten

Format: PDF, ePUB, Online Lesen

E-Book: €  44,99

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ISBN: 9783446459861

 

Lean Production – die bewährte Lösung

Die Fragen 1-20 des Check-ups im Kapitel 2 zeigen Ihnen den Bedarf an Lean in Ihrem Unternehmen auf. Im Folgenden soll Ihnen ein kurzer Überblick über dieses weitläufige Thema vermittelt werden.

3.1 Lean – das aktuell wohl beste Produktionskonzept

Viele Unternehmen beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema Lean. Es wurden bei konsequenter Umsetzung enorme Verbesserungen in Qualität, Durchlaufzeit, Mitarbeiter- und Flächenproduktivität erreicht. Lean ist ein ganzheitliches Konzept, also eine Sammlung und Systematisierung von Leitsätzen und Prinzipien, und stellt unserer Meinung nach aktuell die beste Methodik zur Organisation eines Produktionsunternehmens dar.

Die Lean-Prinzipien sind nicht theoretisch entwickelt worden, sondern der Alltagspraxis entsprungen. Durch ständiges Hinterfragen aller Prozesse und Vorgänge werden die nicht wertschöpfenden Prozesse, die sogenannte Verschwendung, identifiziert.

Die Grundsätze von Lean Production werden meist in Form eines Hauses dargestellt (siehe Bild 3.1).

Die Form eines Hauses wurde gewählt, da die Konstruktion, ähnlich einem Bauwerk, nur dann stabil ist, wenn das Dach, die Wände und das Fundament stark sind. Im Folgenden werden die einzelnen Elemente des TPS-Hauses kurz erläutert.

 

Bild 3.1 Das TPS-Haus (in Anlehnung an (Liker 2006), S. 65)

Das Dach des Toyota-Produktionssystems, des (TPS)-Hauses, besteht aus den Zielen des Produktionssystems, die die Kundenorientierung Toyotas widerspiegeln. Die Anforderungen der Kunden sind: höchste Qualität, niedrige Kosten und kurze Durchlaufzeit als Voraussetzung für kurze Lieferzeiten.

Im Mittelpunkt des Toyota-Produktionssystems (TPS) steht die Vermeidung von Verschwendung. Durch das Verringern der Verschwendung kann die Durchlaufzeit der Produktion gesenkt werden, wodurch die Produkte in kürzerer Zeit durch die Prozesskette fließen. Die kürzere Inanspruchnahme der Produktionsressourcen impliziert geringere Produktionskosten. Lean unterscheidet üblicherweise sieben Arten der Verschwendung (Klevers 2007):

  • Überproduktion

  • Unnötige Bewegungen

  • Nacharbeit/Ausschuss

  • Überflüssiger Transport

  • Ungenügende Prozessgestaltung

  • Wartezeit

  • Bestände

Für eine tiefergehende Beschreibung der Verschwendungen sei auf (Schneider 2016) verwiesen.

Einen zentralen Punkt im Lean-Denken stellen die kontinuierliche Verbesserung (KVP) und die Mitarbeiter dar. Die wichtigste Basis für KVP bildet das Erfahrungswissen der Produktionsmitarbeiter und ihre Einbindung. Durch KVP-Workshops, in denen Produktionsmitarbeiter und Verantwortliche zusammenarbeiten, werden die Prozesse standardisiert und optimiert. Dabei werden die Mitarbeiter darin geschult, Verschwendungen zu erkennen, und können bei der Gestaltung ihrer Arbeitsplätze aktiv mitwirken (Fitsch 2007).

Ziel aller KVP-Methoden und Werkzeuge ist die strikte Ausrichtung und Überprüfung aller Aktivitäten und Einrichtungen in der Fabrik am Kundennutzen. Dies schützt vor unproduktiven, nicht wertschöpfenden Aktivitäten innerhalb der Produktion (Wildemann 1993). Durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess werden die definierten Standards immer weiter optimiert (Shingo 1989).

Um eine Fließfertigung einführen zu können, sind aus Lean-Sicht drei Grundvoraussetzungen zu erfüllen:

  • Produktion in Taktzeit

  • Standardisierung der Arbeit

  • Stabile Prozesse

Produktion in Taktzeit bedeutet, dass die Produktion eines Teiles in dem vom nachgelagerten Prozess (dem Kunden) vorgegebenen Zeitrahmen stattfindet. Die Taktzeit hilft dabei, das Tempo der Montage mit dem Tempo der Nachfrage zu synchronisieren.

Standardisierung der Arbeit bedeutet, dass die Arbeitsabläufe mittels Arbeitsanweisungen in Form von Standardarbeitsblättern vereinheitlicht werden. Das Besondere ist, dass diese Ablaufbeschreibungen nicht von zentralen Planungsabteilungen, sondern von den Mitarbeitern selbst erstellt werden (Ohno 1993). Dabei ist das Ziel keineswegs die ständige, sekundengenaue Überwachung der Arbeitsausführungen der Mitarbeiter. Vielmehr bildet die immer gleiche Ausführungsweise der Arbeitsschritte die Grundlage für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (Liker, Meier 2008). Denn nur Prozesse, die personen- und werksübergreifend identisch ausgeführt werden, können im nächsten Schritt auch im selben Ausmaß verbessert werden. Deshalb ist eine Standardisierung in der Produktion der Dreh- und Angelpunkt einer „schlanken Produktion“ (Takeda 2006).

Die Entwicklung stabiler Prozesse ist eine weitere Grundvoraussetzung für die Implementierung einer kontinuierlichen Fließfertigung mit Einzelstückfluss in der Produktion. „Stabilität“ bedeutet die Fähigkeit eines Prozesses, konstant die geforderte Ausbringungsmenge zu produzieren. Die Lean-Methoden schaffen stabile Prozesse hauptsächlich durch die Eliminierung der Verschwendung.

Die Methoden des visuellen Managements sind Werkzeuge, um Transparenz in der Produktion zu schaffen. Durch das Aufzeigen von Differenzen zwischen Ist- und Sollniveau von Kennzahlen bzw. von Problemen und Störungen in der Produktion sollen Kaizen-Maßnahmen schnell und dezentral entwickelt und umgesetzt werden (Takeda 2006).

Just-in-Time bedeutet, dass in einem Fließverfahren die Teile, die zur Montage benötigt werden, zur rechten Zeit und nur in der benötigten Menge am Arbeitsplatz ankommen (Ohno 1993).

Um diesen Grundsatz erfüllen zu können, verwendet Toyota zwei Instrumente:

  • Einzelstückfluss in einer kontinuierlichen Fließfertigung

  • Kanban-Bestandssteuerung

Der Einzelstückfluss ist wichtig. Da der Kunde am Produktionsausgang in der Regel nur ein Stück mit bestimmten Spezifikationen kauft, muss der Einzelstückfluss (häufig auch one-piece-flow) ermöglicht werden. Im Idealzustand wird jedes Produkt einzeln gefertigt, transportiert und weitergegeben (Takeda 2006).

Die Kanban-Bestandssteuerung ist ein System zur Materialdisposition, das die in einer Produktion befindliche Bestandsmenge nach oben hin begrenzt. Ziel ist eine Produktion auf Abruf (Just-in-time production), um den Bestand so gering wie möglich zu halten und trotzdem einen hohen Grad der Liefertreue zu gewährleisten (Zäpfel 1989).

Ein weiterer Vorteil einer Fließfertigung ist Jidoka. Durch diese „Kultur des Anhaltens“ wird das wiederholte Auftreten eines Fehlers unterbunden und möglichen Qualitätsmängeln der Endprodukte durch Montagefehler vorgebeugt. Ein großer Vorteil sind die wesentlich kürzeren Qualitätsregelkreise. Fehler werden früher entdeckt und der Aufwand für die Qualitätssicherung kann reduziert werden.

Eine der wichtigsten Methoden in der Lean Production zum Erkennen struktureller Ursachen von Verschwendung ist die Wertstrommethode (siehe Kapitel 7). Ein Wertstromdesign stellt die Vision, den Soll-zustand der späteren Produktion, dar und gibt eine Art Richtlinie an die Hand, deren Anwendung sich in der Vergangenheit bewährt hat (Rother, Shook 2011).

Die grundlegenden Ideen von Lean lassen sich sehr gut anhand der acht Systemischen Prinzipien erläutern, die zeigen, wie ein aus Lean-Sicht gutes System aufgebaut sein sollte.

3.2 Die acht Systemischen Prinzipien – Erläuterung anhand der Skigebietanalogie

Wie bereits beim Check-up im Kapitel 2 erläutert wurde, beschreiben die acht Systemischen Prinzipien den Sollzustand eines Produktionssystems. Um die acht Systemischen Prinzipien Fluss, Takt, Standard, Pull, Integration, Synchronisation, Perfektion und Robustheit zu verdeutlichen, soll auf eine Analogie zurückgegriffen werden. Stellen wir uns die zu vergleichenden Produktionssysteme Lean Production und die klassische Massenproduktion als zwei Skigebiete vor.

Zunächst ist der Zielzustand zu klären. Was erwartet unser Kunde? Er möchte im Skigebiet möglichst ungestört und häufig die Piste...

 

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