Günter Pomaska
3D-Fotos und -Videos
Eigene Aufnahmen erstellen, bearbeiten und präsentieren. Analog & digital inkl. 360°-Aufnahmen (Virtual Reality) und Raspberry Pi-Kamera
2. | Zur Geschichte des Raumbildes |
Die Entwicklung von Stereoskopie und Fotografie verlief in den Anfängen annähernd parallel. Unter dem Begriff Stereoskopie versteht man die Wiedergabe von zweidimensionalen Abbildungen mit Tiefeneindruck. Erste Versuche mit dem Stereoskop und dem künstlichen räumlichen Sehen wurden mit Zeichnungen durchgeführt. Etwa zur gleichen Zeit gewann man Erkenntnisse zur dauerhaften Aufzeichnung von Fotos. Neben der Konstruktion monokularer Kameras wurde damit auch die Entwicklung der Stereokameras eingeleitet.
2.1 | Stereoskopie und Fotografie |
Es war Sir Charles Wheatstone, ein britischer Physiker, der die Beobachtung machte, dass das linke Auge eines Menschen aus einem anderen Blickwinkel sieht als das rechte Auge. Mit einem einfachen Versuch wies er die Beobachtung nach und erläuterte damit die Ursache der Tiefenerkennung des Menschen. Er zeichnete von einem Objekt zwei Perspektiven, jeweils eine aus Sicht des linken Auges und eine andere aus der Sicht des rechten Auges. Die Bilder wurden auf eine Holzschiene gelegt und über Spiegel den Augen getrennt zugeführt, woraufhin ein dreidimensionales Bild entstand. Das Gerät bekam die Bezeichnung Spiegelstereoskop. 1838 wurde das Experiment der Öffentlichkeit vorgestellt (siehe Bild 2.1).
Bild 2.1 Das von Wheatstone 1838 vorgestellte Experiment (Quelle: http://wikipedia.org, gemeinfrei)
Das Prinzip der Lochkamera (Camera obscura) wurde bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. von Aristoteles beschrieben. Die ersten Erfolge, die Bilder einer Camera obscura auf Metallplatten aufzuzeichnen, konnte der Franzose Joseph Nièpce 1826 verzeichnen. Etwa ein Jahr nach der Vorstellung des Spiegelstereoskops wurde der fotografische Prozess der Daguerreotypie bekannt, benannt nach seinem Erfinder Jaques Daguerre, ebenfalls ein Franzose, der mit Nièpce zusammenarbeitete. Mit Silber beschichtete Kupferplatten wurden spiegelglatt poliert und mit chemischen Mitteln lichtempfindlich gemacht. Die Platte kam in eine Kassette und wurde in die Kamera geschoben. Unmittelbar nach der Belichtung wurden diese Plaques in der Dunkelkammer entwickelt und fixiert. Jedes Bild war ein seitenverkehrtes Original, das sich nicht vervielfältigen ließ und unter einem bestimmten Lichteinfall zu betrachten war. Die Daguerreotypie galt als das erste praktikable Fotografieverfahren mit hoher Detailtreue.
Räumliches Sehen
Beim natürlichen Sehen entsteht die Tiefenerkennung durch die Konvergenz der Augenstellung und die Tiefenwahrnehmung bei unmittelbar beidäugiger Betrachtung. Das Unterscheidungsvermögen nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab und endet bei etwa 900 m.
Wheatstone griff die Erfindung von Daguerre auf und ließ zwei Fotos eines Gegenstandes mit leicht versetzter Kamera anfertigen. Aufgrund der besonderen Lichtbedingungen, unter denen die Daguerreotypien betrachtet werden mussten, zeigte sich sein Stereoskop noch nicht besonders geeignet, deshalb wurde es modifiziert. Zunächst ersetzten Linsen die Spiegel. Der Schotte David Brewster übernahm schließlich die Weiterentwicklung. Er ordnete die Bilder nebeneinander an und vergrößerte sie durch zwei prismatische Linsen. Über einen Spiegel wurden die Daguerreotypien im entsprechenden Winkel beleuchtet (siehe Bild 2.2).
Bild 2.2 Brewsters Stereoskop (Quelle: http://wikipedia.org, gemeinfrei)
Sir David Brewster fand in England wenig Aufmerksamkeit für seine Entwicklung. Als er diese jedoch nach Paris brachte, erkannten die Optiker Asoleil und Duboscq die Bedeutung dieses Instruments und gingen damit in Produktion. Jules Duboscq präsentierte das Gerät 1851 anlässlich der Weltausstellung in London. Königin Viktoria war bei ihrem Messebesuch begeistert und erweckte damit das allgemeine Interesse. So kam die Sache ans Laufen, und Duboscq konnte Aufträge schreiben.
Da die Anfertigung der Daguerreotypien Unikate und auch nicht einfach herzustellen waren, fehlte es noch an der fotografischen Möglichkeit zur Vervielfältigung. Auch sollten noch geeignete Kameras entwickelt werden. Der Engländer William Henry Fox Talbot erfand ein Negativ-Positiv-Verfahren. Mit dem Salzprint konnte eine praktisch unbegrenzte Anzahl von Kopien angefertigt werden. Auch verkürzten sich durch die gewählte Chemie die Belichtungszeiten erheblich.
Eine Qualitätsverbesserung der Bilder trat durch das Albumin-Verfahren ein. Eine auf Eiweiß und Silbernitrat basierende Emulsion wurde auf Papier zur Anfertigung von Kopien aufgetragen. Das entwickelte Papier wurde auf Karton aufgeklebt und lieferte ein detailreiches und je nach Überzug glänzendes oder mattes Bild. Trotz der noch immer langen Belichtungszeiten konnte sich aufgrund des Albumin-Verfahrens die Porträtfotografie und die Herstellung von Stereokarten zum Massenmedium entfalten. Die Fotos zeigten eine hohe Qualität. Das Verfahren wurde bis 1900 praktiziert und wird noch heute in der künstlerischen Fotografie angewandt.
Eine weitere Entwicklung der Fotochemie war um 1851 die Kollodium-Nassplatte auf großformatigem Glasträger, die zeitnah zur Aufnahme entwickelt werden musste und somit ein Labor vor Ort voraussetzte. Ab den 1880er Jahren löste die Trockenplatte das nasse Kollodiumverfahren ab. Bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden Glasplatten als Negativträger genutzt. Danach kam das Zelluloid auf, das aufgrund seiner mangelnden Sicherheitseigenschaften durch Triacetat (Safety Film) ersetzt wurde und neben Planfilm dem Rollfilm zum Durchbruch verhalf.
2.2 | Bildverlage, Stereokarten, Genres |
Die Kameratechnik war in den frühen Jahren der Stereoskopie noch nicht so weit entwickelt, dass Instrumente für jedermann verfügbar waren. Insofern lag das große Geschäft im Bereich der Stereoskope und Stereokarten zunächst bei den Bildverlagen. Weltweit waren Fotografen unterwegs und brachten Länder, detailgetreue Stadtansichten, Menschen, Flora und Fauna in die Wohnstuben des Bürgertums (siehe Bild 2.3).
Bild 2.3 Stereokarte des Bildverlags Underwood & Underwood
Wie bereits erwähnt, galt die Einführung des Albumin-Verfahrens als Beginn der Porträtfotografie. Im Bereich des Theaters war die 3D-Fotografie eine Unterstützung zur Gestaltung des Bühnenbildes und diente der Aufnahme von Opernszenen. Die bekannten Schauspieler ließen von sich 3D-Porträts anfertigen und auf Stereokarten bringen. Selbstverständlich fand auch die erotische Fotografie sofort das Interesse der Fotografen und Zuspruch bei den Konsumenten. Nic Leonhardt beschreibt in seiner Publikation das gesamte stereoskopische Repertoire der damaligen Zeit sehr detailliert. 1
1854 wurde die London Stereoscopic Company 2 (LSC) gegründet, deren Geschäftsmodell die Verbreitung von Stereobildkarten und Betrachtern war. Man bedenke, dass weder Fernsehen, Film noch Internet den Menschen bis dahin bekannt waren. Bei der Betrachtung von Stereokarten kam die Illusion auf, selbst an der Szene teilzuhaben, was sie sehr populär machte. Bereits 1856 konnte die Gesellschaft eine Sammlung von 10.000 Bildern bereithalten. Eine der neueren Produktionen der London Stereoscopic Company ist der 3D-Bildband über die Rockband Queen, der 2016 erschien. 3
Zu den Erfolgen der Stereokarten trug auch eine Modifikation des Brewster-Stereoskops von Holmes bei. 1861 entwickelte Oliver Wendell Holmes ein massentaugliches Handgerät, von dem Millionen Stück hergestellt wurden (siehe Bild 2.4). Nicht zuletzt war auch die Entwicklung der Eisenbahn ein Faktor der Erfolgsgeschichte, weil sie die Mobilität der Fotografen beschleunigte.
Bild 2.4 Holmes’ Handstereoskop um 1900
Eine ganz besondere Art des Stereobildes war das sogenannte Tissue. Bildträger der nebeneinander montierten Halbbilder war ein sehr dünnes Albumin-Papier. Die Bilder wurden von der Rückseite her handkoloriert und mit einem feinen Gewebe abgedeckt. Nunmehr konnte man bei Auflicht und Durchlicht unterschiedliche Tag-Nacht-Bilder erstellen (siehe Bild 2.5). Es wurden auch Lichter durch Einstiche im rückseitigen Papier simuliert. Diese Art der Stereokarten war sehr empfindlich. Gut erhaltene und komplette Serien haben daher ihren Preis. Ein besonderes Genre waren die Diableries. Eine Diablerie ist eine spezielle Stereokarte, die Szenen des irdischen Lebens in der Hölle zeigt. Die Bilder wurden ab 1860 in Serien als Tissue-Stereo-Views herausgegeben und zeigen die modellierten Miniszenen des Lebens aus der Hölle heraus. Diableries – Stereoscopic Adventures in Hell ist eine beeindruckende Publikation, die ebenfalls bei der London Stereoscopic Company erschienen ist. 4
Bild 2.5 Tissue-Stereokarte (links: Auflicht, rechts: Durchlicht)
In Amerika entwickelten sich aus kleinen Firmen große Konzerne. Auf den Stereokarten der Jahrhundertwende finden wir die Namen Underwood & Underwood (siehe Bild 2.3), Stereo-Travel Co., Key Stone View Company und andere. Die Stereokarten wurden in buchförmigen Alben mit Reisehinweisen und Kartenmaterial angeboten – wenn man so will, ein frühes Google Earth. Underwood & Underwood produzierten 1901 etwa 25.000 Stereokarten am Tag und im gesamten Jahr 300.000 Stereoskope. 5
Pioniere der Stereoskopie gab es natürlich auch in Europa, namentlich in...
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