Computer sind auch nur Menschen - Bernhard Langer und Michael Fraikin im Gespräch über systematische, faktorbasierte Geldanlage

Christian Hiller von Gaertringen, Peter Zolling

Computer sind auch nur Menschen

Bernhard Langer und Michael Fraikin im Gespräch über systematische, faktorbasierte Geldanlage

2017

136 Seiten

Format: PDF

E-Book: €  31,99

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ISBN: 9783446454033

 

3. Der persönliche Weg zur quantitativen Methode

Herr Langer, wie sind Sie im Laufe Ihres beruflichen Erkenntnisweges zu quantitativ geleiteten Anlagestrategien, genauer zum Factor Investing-Ansatz gekommen? In den Schoß gefallen sein wird Ihnen diese Methode vermutlich nicht.

Langer: Nein, gewiss nicht. Ich bin nach dem Gymnasium den ganz klassischen Weg gegangen, habe also eine Banklehre bei der Bayerischen Vereinsbank gemacht und dann ein Studium der Bankbetriebswirtschaft mit BWL-Abschluss in München absolviert. Anschließend war ich zunächst weiter für die Vereinsbank tätig, die ja später in der UniCredit aufging.

Und da sind Sie gleich zum Shooting-Star an der Anlage-Front geworden?

Langer(lacht): Gott bewahre, nein. Das ging da recht behäbig zu, Karriereziel war für die meisten die Stellung eines Zweigstellenleiters in Straubing oder sonst irgendwo auf dem Land. Das hat mir nicht so zugesagt. Glücklicherweise landete ich aber in München-Bogenhausen. Das ist ja ein gut betuchter Stadtteil, das heißt, da ist das Klientel, das in der Geldanlage großen Bedarf hat und auch Ideen zugänglich ist. Also dort konnte ich ins Anlagegeschäft hineinschnuppern. Und zum Entsetzen meiner Vorgesetzten sagte ich dann, ich möchte zu den Anlageprofis. Da gab es im Prinzip drei Bereiche: einmal die private Vermögensanlage, dann die Investmentfonds, die von einer Gesellschaft mit dem schönen Namen Bayerische Kapitalanlagegesellschaft verwaltet wurden, und schließlich eine Trading-Einheit, die mehr oder weniger Privatkunden beriet, die relativ viel Geld hatten. Für mich stand fest, da wollte ich hin, zu den Fonds-Profis – ohne genau zu wissen, was die eigentlich machten.

Warum waren Ihre Vorgesetzten schockiert?

Langer: Weil für die damals die Krone des Schaffens eben jene Filialkarriere war. Ich habe dann in allen drei Abteilungen volontiert, für vier Wochen, um mir das anzuschauen – und habe mich dann für die Fonds-Seite entschieden. Ich bin also 1989 zur Bayerischen Kapitalanlage gegangen und dort in den Bereich Aktien. Es gab dort damals die Renten- und die Aktienleute. Ich habe bald erkannt, dass das ein sehr gediegenes traditionelles Haus war, eine Hypothekenbank eben, die das Anlagegeschäft nur nebenbei betrieb. Das konnte man schon daran erkennen, dass die Geschäftsführer dieser Einheit allesamt Juristen waren, und die haben sich alle zwei, drei Jahre die Klinke in die Hand gegeben. Das war also im Grunde nur eine Durchlaufstation.

Klingt nach einer Sackgasse.

Langer: Ja und nein. Ich habe das Beste daraus gemacht. Da ich jung war und mit Computern umgehen konnte und damals die DTB, die Deutsche Terminbörse, entstanden ist, für die sich nur wenige interessierten, hat man halt mir diesen neuen Bereich anvertraut. Und so kam ich mit der Welt der Derivate in Berührung – für die Älteren waren das damals alles böhmische Dörfer.

Und wie wurden aus den böhmischen bayerische Dörfer, in denen sich auch Ihre Kollegen zurechtfanden?

Langer: Hilfreich waren dabei die ersten Personalcomputer, mit denen man schon einiges in der Portfolio-Analyse anstellen konnte. Mancher Kunde begann zu fragen, weshalb die Wertentwicklung seiner Aktien schlechter lief als der DAX, und dann baten mich die Fondsmanager, diese Abweichung mal mit Hilfe des Portfolio-Konzepts unter die Lupe zu nehmen und auf einschlägige Faktoren hin zu analysieren.

Das war in den 1980er Jahren?

Langer: Das war alles Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Das war sozusagen der Auftakt. Eine sehr spannende Zeit, eine Ära des Umbruchs, in der die Grundlagen entstanden. Aber es wurden damals aus den Erkenntnissen, die wir durch eine systematische Portfolio-Analyse gewannen, noch keine Schlussfolgerungen gezogen. Man machte einfach so weiter, obwohl man es hätte besser wissen können. Das war natürlich nicht befriedigend für mich.

Das heißt, Sie machten den ersten Schritt durch die Analyse, aber die Anlage-Strategen folgten Ihnen noch nicht, indem sie entsprechend handelten?

Langer: Ja. Und dann habe ich mich immer mehr mit diesen Dingen beschäftigt. Damals hatten die einzelnen Fondsmanager Länderverantwortung. Besonders begehrt war das Deutschland-Portfolio. Mir wurde das US-Portfolio übertragen; vielleicht, weil der US-Markt um 15.30 Uhr unserer Zeit öffnete, wenn schon manche Kollegen Richtung Tennisplatz strebten. Jedenfalls rief dann ein Sell-Side-Broker nach dem anderen an und erzählte schöne Geschichten – kaufe GE, verkaufe GM, mache dieses, mache jenes. Das prasselte auf mich ein, und ich konnte diese Empfehlungen nicht überprüfen, weil dem ganzen Geschehen keine Systematik zugrunde lag. Deshalb bin ich zum Geschäftsführer gegangen und habe gesagt, so geht es nicht weiter, wir müssen das systematisch machen. Und der hatte ein Einsehen und schickte mich tatsächlich für rund ein halbes Jahr in die USA, damit ich dort meine Forschungen betreiben konnte. Und dort in New York bei Michael L. Goldstein vom Investmenthaus Sanford C. Bernstein and Co. habe ich dann das Handwerk des quantitativen Portfoliomanagements erlernt. Er hat mich in diese Faktorwelt, in die Kunst des systematischen Auswertens von Informationen, eingeführt und mir gezeigt, wie man ein diversifiziertes Portfolio konstruiert.

War das damals praktisch schon so etwas wie der faktorbasierte Ansatz?

Langer: Im Kern, ja. Es ging damals darum, wie auch heute, ein Portfolio aus diversen Bausteinen zusammenzusetzen, die multifaktoriellen Einflüssen unterliegen – mit Gewinnaussichten und dem Markt-Momentum als Parametern, die einer technischen Analyse und Bewertung unterzogen werden, und der Kombination aller Faktoren.

Das heißt, Sie fanden dieses Instrumentarium, diesen Werkzeugkasten quasi, in Amerika vor?

Langer: Genau.

Und Sie haben ihn sich angeeignet. Können Sie kurz skizzieren, welche Vorgeschichte es dazu in den USA gab?

Langer: Das ganze theoretische Gerüst der quantitativen Investmentstrategie ist in den 1960er und 70er Jahren entwickelt worden – also auch etwa das Fama-French-Dreifaktorenmodell. Voraussetzung für die Anwendung waren eine wachsende Menge und Verfügbarkeit von Datenmaterial und steigende Computerkapazitäten.

Und wie sieht es heute aus?

Langer: Heute leben wir in der Ära der Überinformation. Wir haben zu viele Daten, aber auch immer leistungsfähigere Rechner mit immensem Speicherplatz. Es ist ein langer und kurzer Weg zugleich von den ursprünglichen Floppy Discs zu den Hochleistungsrechnern von heute.

Kam denn damals in den USA Factor Investing schon als Begriff auf?

Langer: Nein, der Name Factor Investing existierte in dieser Form damals noch nicht. Es war ein quantitatives Anlegen aufgrund von Faktoren. Das war gewissermaßen eine Anlage-Nische, die sich aus dem akademischen Milieu allmählich an die Finanzmärkte ausbreitete. Ganz typisch für Amerika, wo Uni-Professoren oft zugleich auch eigene Firmen gründen. In den 1980er und 90er Jahren bekam diese Methode immer mehr Resonanz, bis sie nach der Jahrtausendwende ihren ersten Höhepunkt erreichte und auch in Deutschland viel Zustimmung fand – auch in eher konservativen Geldhäusern.

Banal gefragt: Gab es in dieser Entwicklung bei Ihnen ein Schlüsselerlebnis, ein Moment der Erkenntnis, als Sie sagten, die quantenbasierte Anlagestrategie schlägt jede andere? Oder war das ein sukzessiver Erkenntnisprozess?

Langer: Der Begriff Schlüsselerlebnis trifft es eher nicht. Das wäre zu stark. Aber ich habe in den USA die ungeschminkten Ergebnisse gesehen und welche mittelfristigen und langfristigen Erfolge durch diesen systematischen und transparenten, mithin nachvollziehbaren Prozess herauskamen, zu welchen Leistungen diese Methode imstande war. Vielleicht lässt es sich so umschreiben: Ich habe mir nach und nach das schier unerschöpfliche Potenzial dieser methodischen Vorgehensweise erschlossen. Nachdem ich als einer der Jüngsten zu meiner Zeit Prokurist geworden war, baute ich mit vier anderen Kollegen in der Vereinsbank ein kleines Büro für strategische Vermögensplanung auf. Dann knüpfte ich Kontakte zur LGT Bank in Liechtenstein, das damals führende Quant-Haus in Deutschland, und wechselte schließlich nach Frankfurt. Für die LGT entwickelte ich einen Aktien-Selektionsansatz für deutsche Portfolien. Meine neue Abteilung, mit amerikanischem Ableger, wurde 1998 an Invesco verkauft. Seitdem bin ich hier tätig und verantworte den Quant-Sektor mit inzwischen 35 Milliarden Euro Anlagekapital und Standorten in New York, Boston und Frankfurt. Mittelfristig soll dieser Zweig Factor Investing auf ein Volumen von 150 Milliarden Euro ausgeweitet werden, das wären dann 20 Prozent des gesamten Anlagevermögens, das Invesco betreut.

Zum Nutzen des Kunden?

Langer: Selbstverständlich müssen wir aus der Perspektive des Kunden denken und handeln, im Interesse der Wahrung und Mehrung seiner Geldanlage. Es ist schon faszinierend, wenn Sie feststellen, dass Sie mit Ihrem Ansatz auf mittlere und längere Sicht...

 

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