PQM - Prozessorientiertes Qualitätsmanagement - Leitfaden zur Umsetzung der ISO 9001

Karl Werner Wagner, Roman Käfer

PQM - Prozessorientiertes Qualitätsmanagement

Leitfaden zur Umsetzung der ISO 9001

2017

368 Seiten

Format: PDF, ePUB, Online Lesen

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ISBN: 9783446452688

 

1 Mit Prozessorientiertem Qualitätsmanagement (PQM) zum Erfolg

Die einzige Konstante im Geschäftsleben

ist jene der ständigen Veränderung.

N. N.

1.1  Gründe für Prozessorientiertes Qualitätsmanagement

Die Notwendigkeit von Prozessorientiertem Qualitätsmanagement in einem Unternehmen kann am Beispiel von Bild 1.1 verdeutlicht werden. Ein Kunde ruft an im Unternehmen. Nach einigen Minuten des Verharrens in der Warteschleife gelangt er in die Telefonzentrale. Von dort aus wird er mit der Verkaufsabteilung verbunden. In der Verkaufsabteilung ist die zuständige Person gerade nicht anwesend. Aufgrund der Wichtigkeit der Anfrage wird nun die Geschäftsleitung eingeschaltet. Dabei ergeben sich Rückfragen mit der Einkaufsabteilung …

An jeder Schnittstelle kommt es zwangsläufig sowohl zu Zeit- als auch zu Informationsverlusten. Schnittstellen sind mitunter vergleichbar mit »Mauern« zwischen einzelnen Abteilungen/Bereichen (Bild 1.2). Prozessorientierung bedeutet ‒ wie in den nachfolgenden Kapiteln dargestellt ‒ die Abkehr vom Abteilungsdenken hin zur abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit.

1.2  Die funktionsorientierte Sichtweise eines Unternehmens

 

Bild 1.1 Weg eines Kundenauftrags durch viele Instanzen

   

 

Bild 1.2 Schnittstellenproblematik

Auf die Frage »Können Sie mir ein Bild von Ihrem Unternehmen geben?« wird von der Geschäftsleitung eines Unternehmens vielfach die Aufbauorganisation in Form eines Organigramms präsentiert (Bogaschewsky, 2007).

Die Ausbeute an Informationen, die sich aus einem Organigramm extrahieren lässt, hat ihre Berechtigung, bietet jedoch nur sehr wenig Aussagekraft bezüglich der Funktionsweise des Unternehmens. Erstens fehlt der Kunde in diesem Bild. Zweitens sind weder Produkte noch Dienstleistungen ersichtlich und drittens gibt das Organigramm keine Vorstellung darüber, wie der Arbeitsfluss vor sich geht, aufgrund dessen die Produkte und Dienstleistungen zustande kommen. Viertens ist auch nicht ersichtlich, wer genau mit wem zusammenarbeiten muss, um den Kundenwunsch zu erfüllen.

Durch ein Organigramm verschafft man sich zwar ein gutes Bild darüber, wie effizient sich die Entscheidungsstrukturen darstellen, und schließt damit wiederum auf die Entscheidungsgeschwindigkeiten und die Flexibilität des Unternehmens. Weiterhin erfährt man aus dem Organigramm, welche Abteilungen im Unternehmen existieren. Aber das beantwortet die Frage zur Funktionsweise des Unternehmens nur rudimentär. Denn man hat nur Informationen über das WAS gewonnen, nicht aber über das WIE. Der Aufbau eines Unternehmens stellt nur einen, wenn auch wichtigen, Bauteil des Gesamtkomplexes Unternehmen dar. Das Organigramm gibt keine Auskunft darüber, mit welchen Abläufen, Tätigkeiten und Aufgaben das Unternehmen seine Leistung erbringt ‒ es stellt keinen Bezug zu den Kunden, zu den Lieferanten oder anderen beteiligten Interessenspartnern her.

 

Bild 1.3 Funktionsorientierung versus Prozessorientierung

Um Entscheidungen richtig treffen zu können, reicht es nicht aus, zu wissen, welche Abteilungen es gibt und wie diese hierarchisch verbunden sind, sondern wie die einzelnen Abteilungen bei der Aneinanderreihung ihrer Leistungen ineinandergreifen und damit zur Endleistung beitragen. Das Problem erstreckt sich auf alle hierarchischen Ebenen: Ist auch jedem Mitarbeiter der Abteilungen klar, wie er als Individuum an der Leistungserstellung beteiligt ist? Oder enden die Erkenntnisse der Zusammenhänge der einzelnen Tätigkeiten an der Abteilungsgrenze? Ist jedem Mitarbeiter klar, was die im Ablauf folgende Abteilung wirklich braucht? Und sind die Schnittstellen zwischen den einzelnen Tätigkeiten so weit definiert und festgelegt, dass die Übergänge keine Fehlerquellen mehr sind. In diesem traditionellen funktionsorientierten organisatorischen Umfeld entsteht oftmals ein Effekt, der sich als »Silo-Effekt« beschreiben lässt. Das bedeutet im übertragenen Sinn, dass hohe, dicke und fensterlose Strukturen rund um die jeweilige Abteilung hochgezogen werden. Es wird funktionsorientiert agiert, d. h. nur auf die eigene Abteilung Rücksicht genommen ‒ der Blick auf das Gesamte geht verloren. Durch den Ansatz der Prozessorientierung kommt man weg von diesem Denken in »Silos« ‒ dem Arbeiten innerhalb der Kompetenzbereiche, die über Jahre aufgebaut wurden und deren oberste Maxime die eigene Budgeterreichung ist, auch wenn dies auf Kosten anderer Unternehmensbereiche geht (Bogaschewsky, 2007).

1.3  Die prozessorientierte Sichtweise eines Unternehmens

Ausgehend von den an die Kunden gelieferten Produkten und erbrachten Dienstleistungen stellt sich die Frage, welche Aktivitäten innerhalb des Unternehmens hierfür erforderlich sind. Diese Frage führt zu den Prozessen eines Unternehmens, die als Abfolge von Tätigkeiten zu verstehen sind und zu konkreten Ergebnissen (Output) führen. Ganz allgemein ist ein Prozess eine Tätigkeit, die einen zeitlichen Beginn und ein Ende hat. Ein Prozess ist aber nicht nur zeitlich abgegrenzt, sondern auch inhaltlich. Um die sogenannten Schnittstellen zu definieren, ist für jeden Prozess festzuhalten, welches Ergebnis in welcher Form vom vorhergehenden Prozess übergeben, wie dieses Ergebnis weiterverarbeitet und in welcher Form das weiterverarbeitete Ergebnis an den anschließenden Prozess weitergegeben bzw. übernommen wird ‒ egal, ob es materiell (Produkte, Werkstoffe, Halbfertigprodukte etc.) oder immateriell (Information, Signal, Datensatz etc.) ist.

 

Bild 1.4 Prozessprinzip für einen Prozess »Servicehotline betreiben«

Dieses Prozessprinzip kann beispielsweise anhand eines Servicehotline-Prozesses gezeigt werden. Wie aus Bild 1.4 zu entnehmen ist, verfügen Prozesse über Inputs und Outputs, die den eigentlichen Prozess zum vor- bzw. nachgelagerten Prozess abgrenzen und der Erfüllung des Prozesszweckes dienen müssen (Bogaschewsky, 2007).

Um einen Prozess zu bewerten, hat man also folgende drei Anhaltspunkte: den Input, den eigentlichen Prozessablauf und die dafür erforderlichen Ressourcen sowie den Output (Bild 1.5).

 

Bild 1.5 Input und Output eines Prozesses

Die Prozessziele stehen in Zusammenhang mit dem Zweck des Prozesses und können verschiedene Dimensionen wie Qualität, Zeit oder Kosten messen.

Um über die Güte bzw. den Erfolg eines Prozesses eine Aussage zu treffen, muss der Prozess einer Messung und folglich einer Evaluierung bzw. Analyse zugeführt werden (Bild 1.6). Dies kann beispielsweise im Rahmen eines fix installierten wöchentlichen Prozess-Jour-fixes erfolgen, wobei auch prozessfremde Personen, z. B. Schnittstellenpartner, mit eingebunden werden können.

Aus diesen Analysen und Evaluierungen werden vom Prozessverantwortlichen (Rosenstiel, 2007) und seinem Prozessteam Vorgaben und Maßnahmen zur Verbesserung der Zielerreichung abgeleitet (Bild 1.7). Der Prozessverantwortliche ist derjenige, der den Prozess festlegt, freigibt und für dessen Umsetzung sorgt ‒ somit die Verantwortung

 

Bild 1.6 Messung und Evaluierung eines Prozesses

   

 

Bild 1.7 Vorgaben zum Prozess

trägt und auch gegenüber der Unternehmensleitung Rechenschaft darüber ablegen muss (siehe Kapitel 1.5).

Das Prozessteam ist zur Unterstützung des Prozessverantwortlichen eingesetzt und kann sowohl Personen aus dem Prozess selbst als auch aus Schnittstellen- oder Kundenprozessen umfassen.

Unter Prozessorientierung wird somit die Grundhaltung verstanden, bei der das gesamte betriebliche Handeln als Kombination von Tätigkeiten in Abläufen betrachtet wird.

Um alle Prozesse eines Unternehmens und deren Beziehung zueinander übersichtlich darstellen zu können, wird eine Prozesslandkarte erstellt (siehe Bild 1.8).

In einer Prozesslandkarte sind jene Hauptprozesse dargestellt, die einerseits die Leistung für den Kunden erbringen, und andererseits auch alle Hauptprozesse, die diese Leistungserbringung steuern, unterstützen und verbessern. Im Vergleich zu einem Organigramm steht vor allem bei den Kernprozessen das Gedankengut einer durchgängigen Prozesskette im Vordergrund ‒ im Unterschied zum Bereichs- und Abteilungsdenken. Prozesslandkarten sind immer unternehmensspezifisch gestaltet, da sie die Besonderheiten und Zusammenhänge des Unternehmens darstellen.

Die Prozesslandkarte erfüllt die Funktion eines Inhaltsverzeichnisses in bildlicher Form und ist der Ausgangspunkt für den Aufbau des PQM-Systems.

 

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