Einführung in die Windenergietechnik

Alois P. Schaffarczyk

Einführung in die Windenergietechnik

2017

494 Seiten

Format: PDF, ePUB

E-Book: €  31,99

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ISBN: 9783446453838

 

1 Die Geschichte der Windenergie
1.1 Einleitung

Wind wird wahrscheinlich seit mehr als 1 500 Jahren als Energiequelle genutzt. In Zeiten, in denen andere Energiequellen nicht bekannt oder knapp waren, stellte Windenergie ein sehr erfolgreiches Mittel zur industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung dar. Windenergie wurde zu einer Marginalquelle, als kostengünstige, einfach zu erschließende und reichlich vorhandene Energiequellen verfügbar wurden. Vom Standpunkt des Beitrags der Windenergie zur wirtschaftlichen Entwicklung aus betrachtet, kann man die Geschichte der Windenergie in vier sich überschneidende Zeitabschnitte einteilen. Außer im ersten Abschnitt liegt das Augenmerk hierbei auf der Stromerzeugung durch Wind.

 

Bild 1.1 Historische Entwicklung der Nutzung des Windes als Energiequelle. Die erste und letzte Periode haben die deutlichsten Auswirkungen auf die Gesellschaft. Die Jahresangaben sind Anhaltswerte für die Zeiträume der jeweiligen Entwicklungsperioden [Foto: Jos Beurskens]

   

600‒1890: Klassische Periode Klassische Windmühlen für mechanische Antriebe; mehr als 100 000 Windmühlen in Nordwesteuropa. Die Periode endet nach der Erfindung der Dampfmaschine und aufgrund reichlicher Holz- und Kohlevorkommen.

1890‒1930: Aufkommen elektrizitätserzeugender Windkraftanlagen Die Entwicklung der Elektrizität zu einer für jedermann zugänglichen Energiequelle führt zum Einsatz von Windmühlen als einer zusätzlichen Möglichkeit zur Stromerzeugung. Grundlagen im Bereich der Aerodynamik. Die Periode endet aufgrund preisgünstigeren Erdöls.

1930‒1960: Erste Innovationsphase Die Notwendigkeit der Elektrifizierung ländlicher Gebiete und die Energieknappheit während des 2. Weltkriegs lösen neue Entwicklungen aus. Fortschritt im Bereich der Aerodynamik. Die Periode endet aufgrund preisgünstigeren Gases und Erdöls.

seit 1973: Zweite Innovationsphase mit Kommerzialisierung Die Energiekrise und Umweltproblematik in Kombination mit technologischem Fortschritt sorgen für den kommerziellen Durchbruch.

Während der klassischen Periode wandelten die „Windvorrichtungen“ (Windmühlen) die kinetische Energie des Windes in mechanische Energie um. Nachdem Stromerzeuger wie Gleichstrom- und Wechselstromgeneratoren erfunden wurden und man sie für die öffentliche Stromversorgung einsetzte, wurden Windmühlen zur Stromerzeugung genutzt. Diese Entwicklung begann effektiv im späten 19. Jahrhundert und wurde nach der Energiekrise von 1973 zu einem großen wirtschaftlichen Erfolg.

Um zwischen den verschiedenen Anlagen klar unterscheiden zu können, werden sie in diesem Buch als Windmühlen bzw. als Windkraftanlagen bezeichnet.

1.2 Die ersten Windmühlen: 600‒1890

Wassermühlen gelten sehr wahrscheinlich als Wegbereiter für Windmühlen. Wassermühlen wiederum entwickelten sich aus Vorrichtungen, die von Menschen oder Tieren angetrieben wurden. Die Vorrichtungen, die uns aus historischen Quellen bekannt sind, besaßen eine vertikale Hauptwelle, an die senkrecht ein Querbalken angebracht war, um die Hauptwelle anzutreiben. Der Querbalken wurde von Nutztieren, wie Pferden, Eseln oder Kühen, angetrieben. Es scheint nur logisch zu sein, dass sich die vertikalen Windmühlen aus diesen Vorrichtungen entwickelten. Jedoch gibt es nur wenige historische Quellen, die dies belegen. Es lassen sich mehr Quellen über die „nordischen“ oder „griechischen“ Wassermühlen finden, die sich aus den von Tieren angetrieben Vorrichtungen entwickelten. Um 1000 vor Christus hatten diese Arten von Wassermühlen ihren Ursprung in den Hügeln des östlichen Mittelmeerraums und wurden auch in Schweden und Norwegen genutzt [8].

Die ersten Windmühlen mit vertikaler Hauptwelle fand man in Persien und China. Mitte des 7. Jahrhunderts n. Chr. war der Bau von Windmühlen ein hoch angesehenes Handwerk in Persien [7]. In China wurden vertikale Windmühlen von Händlern eingeführt. Der erste Europäer, der über Windmühlen in China berichtete, war Jan Nieuhoff, der 1656 mit einem der niederländischen Botschafter nach China reiste. Bis vor Kurzem waren ähnliche Windmühlen in China noch in Gebrauch (siehe Bild 1.2).

Eine andere Art der Vorrichtung waren die Tretmühlen, die durch die Körperkraft von Menschen oder Tieren angetrieben wurden. Radial zur Hauptwelle waren Schaufeln angeordnet. Indem man Körperkraft von Menschen oder Tieren durch die Kraft von fließendem Wasser ersetzte, entwickelte sich die horizontale Wassermühle aus der Tretmühle. Auf diesem Wege entstanden im 1. Jahrhundert vor Christus die sogenannten vitruvischen Wassermühlen, welche durch den Römer Vitruvius eingeführt wurden. Diese Wassermühle kann als Prototyp für das unterschlächtige Wasserrad angesehen werden, das in ganz Europa in Flüssen und Bächen mit niedrigen Wasserhöhedifferenzen zu finden ist. Es wird weithin angenommen, dass das vitruvische Rad der Vorläufer der horizontalen Windmühle ist [8].

 

Bild 1.2 Schematische Darstellung der Funktionsweise einer chinesischen Windmühle. Durchgezogene Linien stellen Flügel und strich-punktierte Linien Seile dar [2]

Die ersten horizontalen Windmühlen wurden während der Kreuzzüge im Vorderen Orient und später in Nordwesteuropa gefunden. Diese Windmühlen verfügten über eine fixierte Rotorkonstruktion, die nicht in den Wind gedreht werden konnte (Gieren). Die Rotorflügel dieser Windmühlen waren denen ähnlich, die man heute z. B. noch auf der griechischen Insel Rhodos beobachten kann. Um 1100 wurde über die ersten festen Bockwindmühlen, die auf den Pariser Stadtmauern standen, berichtet. Es ist unklar, ob die Windmühlen, die weit verbreitet waren, über den Vorderen Orient nach Europa kamen oder in Westeuropa wiedererfunden wurden. Einige Autoren zweifeln sogar an der Existenz von horizontalen Windmühlen im Vorderen Orient während der Kreuzzüge [7, 26]. Andere wiederum sprechen nur von vertikalen Windmühlen zu jener Zeit [15, 16].

Die Annahme, dass die Windmühlen Westeuropas unabhängig von jenen des Vorderen Orients erfunden wurden, wird durch Dokumente gestützt, die in Archiven der niederländischen Provinz Drenthe gefunden wurden. In diesen Dokumenten, die aus dem Jahr 1040, also der Zeit vor den ersten Kreuzzügen, stammen, werden zwei Windmühlen (Deurzer Diep und Uffelte) erwähnt. Während der Renaissance wurden auch in Europa einige vertikale Windmühlen gebaut. Besonders bekannt war die von Kapitän Hooper gebaute Windmühle in Margate London [23].

Technische Entwicklung der ersten horizontalen Windmühlen

Die ersten Windmühlen verfügten über keinen Giermechanismus und die Flügel bestanden aus einem Rahmen aus Längs- und Querstangen, durch den Segeltuch geschnürt war (siehe Bild 1.3). Die Leistungsabgabe wurde dadurch gesteuert, dass man das Tuch entweder ganz oder teilweise von Hand aufwickelte (siehe Bild 1.3).

 

Bild 1.3 „Leistungssteuerung“ einer klassischen Windmühle [Foto: Jos Beurskens]

Aus statischen Gründen wurde die Hauptwelle mit einem Neigungswinkel versehen (Abmessungen des Mühlengebäudes, der Achsenlast auf das Axialgleitlager, die Möglichkeit ein tragendes Gebäude bzw. einen konischen Turm zur Stabilisierung zu bauen).

Vor der Untersuchung der globalen Entwicklung von Windmühlen zu Windkraftanlagen, mit denen man heutzutage Strom erzeugt, wird die Entwicklung der klassischen Windmühle in Westeuropa beschrieben.

Obwohl in den windigen Regionen Europas der Wind vornehmlich aus einer bestimmten Richtung kommt, variiert die Windrichtung so stark, dass ein Giermechanismus sinnvoll ist, um bei seitlichem Anströmen des Windes nicht zu viel Energie zu verlieren. Diese Anforderung führte zu den ersten Bockwindmühlen (siehe Bild 1.4), welche in den Wind gegiert werden konnten. Diese Windmühlen wurden zum Mahlen von Getreide genutzt. Durch einen starken Balken, der am Mühlenhaus angebracht war, konnte das gesamte Haus, das auf einer fixierten Unterkonstruktion stand, so weit gedreht werden, bis der Rotor senkrecht zum Wind stand. Oft wurden die Stützbalken der Unterkonstruktion so mit Holzplanken verkleidet, dass ein Lagerraum entstand. Der Mühlstein und die Zahnräder befanden sich im drehbaren Mühlenhaus.

 

Bild 1.4 Bockwindmühle, Baexem, Niederlande [Foto: Jos Beurskens]

Eine der ersten Schilderungen über diese Windmühlenart, die auf das Jahr 1299 datiert ist, stammt aus einem Kloster in Sint Oedenrode, in der Region Noord Brabant in den Niederlanden. Ein anderer Versuch, den Rotor in den Wind zu drehen, bestand darin, die Windmühle auf eine schwimmende Plattform zu bauen. Die Plattform war mittels eines Gelenks an einem Pfahl befestigt, der in den Grund eines Sees eingeschlagen war. Vermutlich aufgrund der fehlenden Stabilität dieser Windmühle, die 1594 im Norden von Amsterdam gebaut worden war, wurde nie wieder eine solche Mühle errichtet. Dieses Konzept, das als erste Offshore-Windkraftanlage der Welt gelten kann, wurde nicht weiterverfolgt.

Aus der Bockwindmühle entwickelte sich die sogenannte Kokerwindmühle (siehe Bild 1.5). Nach 1400 wurden Windmühlen in den flacheren Regionen der...

 

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