Pragmatisches Denken und Lernen

Andy Hunt

Pragmatisches Denken und Lernen

2009

269 Seiten

Format: PDF, Online Lesen

E-Book: €  19,99

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ISBN: 9783446419650

 

7.1 Spielen, um zu lernen (S. 172-173)

Ihr Gehirn ist darauf ausgerichtet, dass Sie, ganz auf sich gestellt, mentale Modelle erkunden und erschaffen müssen. Sie sind nicht wirklich geschaffen, um passiv herumzusitzen und zu versuchen, empfangenes Wissen abzuspeichern. Jede dieser Aktivitäten hat ihre Zeit und ihren Ort, aber im üblichen Gang der Dinge gehen wir falsch vor. Das Untersuchen von – oder „Spielen mit" – dem Lernstoff sollte vor dem Lernen der Fakten kommen.

In unserer Kultur scheinen wir dazu zu neigen, den Karren vor das Pferd zu spannen. Erst müht man sich damit ab, Informationen in sich hineinzuschaufeln, und dann hofft man, dass man sie später möglicherweise verwenden kann. Das ist die Grundlage für den Großteil der formalen Ausbildung und unternehmensinternen Weiterbildung. Aber die reale Welt funktioniert nicht auf diese Weise. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie nehmen an einem Tanzkurs teil, nur um dann festzustellen, dass Sie zunächst einen Test zu „Tanzfakten" bestehen müssen, bevor Sie tatsächlich tanzen dürfen. Klingt absurd, wenn ich es so sage, oder?

Seymour Papert ist jedenfalls dieser Ansicht. Papert ist vermutlich der führende Experte zum Thema Nutzung von Technologien zur Schaffung neuer Wege im Lernen.1 Er erfand die Programmiersprache Logo, ein „Spielzeug", mit dem Kinder spielen konnten, um durch das Spielen fundierte mathematische Konzepte zu erlernen. Seine frühen Arbeiten an Logo führten zu dem Robotikspielzeug LEGO Mindstorms, das nach seinem einflussreichen Buch Mindstorms: Kinder, Computer und neues Lernen [Pap82] benannt ist.

Papert arbeitete mit dem weltberühmten schweizerischen Psychologen Jean Piaget zusammen und war davon überzeugt, dass echtes Lernen – das Lernen, bei dem etwas hängen bleibt – durch Erfahrung und Kognition erfolgt, nicht durch explizites Lehren oder Routineübungen. Ihr Ansatz wird auch als Konstruktivismus bezeichnet: Wir erschaffen, um zu lernen, und lernen nicht, um zu erschaffen. Er entwickelte die Sprache Logo ausdrücklich, um eine Umgebung bereitzustellen, mit der Kinder mathematische Konzepte durch direkte Erfahrung lernen konnten, indem sie einer virtuellen „Schildkröte" Befehle erteilten, um sich auf einer virtuellen Leinwand zu bewegen und dort Spuren zu hinterlassen.

Die jungen Grundschulkinder lernten auf diese Weise Geometrie, Trigonometrie und sogar rekursive Algorithmen kennen. Wenn die Kinder nicht weiterkamen, wurden sie aufgefordert, sich in die Schildkröte hineinzuversetzen und ihre eigenen Anweisungen aus der Perspektive der Schildkröte zu durchlaufen. Durch die Änderung ihres Blickwinkels auf den der Schildkröte konnten die Schüler ihr vorhandenes Wissen aus der realen Welt über das Gehen, Richtungsänderungen etc. übertragen, um die Mikrowelt der Schildkröte zu erforschen. Dies ist ein wichtiger Punkt: Lernen sollte so strukturiert sein, dass Sie auf vorhandene Erfahrungen aufbauen können.

Die Bedeutungen von spielen

So, wie ich es hier verwende, lässt sich die erste Bedeutung des Wortes spielen am ehesten damit vergleichen, worüber wir bereits weiter vorne in diesem Buch gesprochen haben, im Sinne einer nicht-zielgerichteten Erkundung. Wir sind nicht wirklich dafür geschaffen, Informationen einfach aufzunehmen, sondern eher dafür, von sich aus mentale Modelle zu erkunden und zu erschaffen. Wir müssen in der Lage sein, in einem Problem herumzustochern, es zu erkunden oder uns „mit ihm vertraut zu machen" (wie in Abschnitt 4.3, „Fließender Übergang vom R-Modus in den L-Modus"). Der spielerische Umgang mit einem Problem macht das Problem nicht leichter, aber er bringt uns unserer eigenen Verdrahtung in Bezug auf das Lernen näher.

 

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