Kernschmelze im Finanzsystem

Wolfgang Münchau

Kernschmelze im Finanzsystem

2008

249 Seiten

Format: PDF, Online Lesen

E-Book: €  17,99

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ISBN: 9783446419506

 

3 Die Wirtschaftspolitik (S. 155-157)

Im zweiten Kapitel versuchte ich zu erklären, wie der Kreditmarkt funktioniert und wie es dort technisch zu einer Blase kam. Hier geht es um die Wirtschaftspolitik, die ebenfalls eine herausragende Rolle in unserer Krise spielt, und zwar als Pendant zum Kreditmarkt. Die Krise auf das Verhalten gieriger Banker oder überforderter Ratingagentur zu reduzieren ist nicht seriös. Auch makroökonomische Faktoren spielten eine Rolle. Billige Zinsen haben den Kreditboom sicherlich erleichtert und waren möglicherweise eine seiner Ursachen. Aber auch dauerhafte Kapitalströme von Asien in die USA spielten eine entscheidende Rolle. Diese Krise ist zu einem großen Teil auch eine Krise der Makroökonomie.

Die Fachwelt hat lange über globale Ungleichgewichte gestritten. Ihr Abbau begann in der zweiten Hälfte des Jahres 2007. Auch hier besteht die Möglichkeit, dass es zu abrupten Anpassungsprozessen kommt, die die Kreditkrise wiederum verstärken würden. Es lohnt sich daher, dieses makroökonomische Thema in diesem Buch zumindest anzusprechen.

Unter internationalen Ökonomen war die Debatte über globale Ungleichgewichte eines der wichtigsten Themen in den Jahren von 2003 bis 2006. Danach wurde es etwas stiller, und das Interesse richtete sich verstärkt auf die Kreditmärkte. Die einkehrende Ruhe heißt allerdings nicht, dass das Problem gelöst war. Im Gegenteil.

Was sind globale Ungleichgewichte? Ein Ungleichgewicht tritt zum Beispiel dann auf, wenn sich in bestimmten Staaten Handelsdefizite beziehungsweise -überschüsse auf einem sehr hohen Niveau verfestigen, und wenn es keine Anpassung durch Wechselkurse gibt. Seit Antritt der Regierung von George W. Bush hat sich das Leistungsbilanzdefizit der USA auf sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöht. Eine Leistungsbilanz besteht aus drei Teilen, der Handelsbilanz, der Dienstleistungsbilanz und der Übertragungsbilanz. Die ersten beiden sind in den meisten Industrieländern die wichtigsten Komponenten. In der Übertragungsbilanz werden zum Beispiel Überweisungen von im Inland lebenden Ausländern zurück in ihre Heimatländer berücksichtigt.

In einigen Schwellenländern sind diese Leistungsbilanzdefizite sogar noch höher, zum Beispiel in der Türkei, wo sie im Jahre 2007 neun Prozent ausmachten. Jetzt gibt es keine Regel, die besagt, dass ein Leistungsbilanzdefizit nicht eine bestimmte Größe überschreiten darf. Wie nachhaltig ein derartiges Defizit ist, hängt von verschie denen Faktoren ab. In der Türkei und anderen Schwellenländern ist der Grund für dieses Defizit ein hohes Maß an Direktinvestitionen von Ausländern. Insofern ist das Defizit eher ein Zeichen der Stärke eines Landes. In den USA ist das Defizit hauptsächlich auf den Konsum von ausländischen, vorwiegend asiatischen Importen zurückzuführen. Auch das muss nichts Unmoralisches sein. Es gibt sogar Leute, die sagen, die Amerikaner wären Konsumenten der letzten Instanz. Ohne den hungrigen amerikanischen Konsumenten hätten die Asiaten niemals ihr Wirtschaftswunder erlebt.

Wir sollten daher Leistungsbilanzdefizite nicht als moralisches, sondern rein als ökonomisches Fakt betrachten. Und hier gilt im Falle der USA: Ein Ungleichgewicht in der Größenordnung von sechs Prozent vom BIP, wie wir es bis zuletzt in den USA hatten, ist nicht nachhaltig. Irgendwann passen sich die Ungleichgewichte an, zum Bei spiel durch einen Verfall der Währung. Der starke Absturz des Dollars in den Jahren 2007 und 2008 war ein Zeichen dafür, dass sich die Ungleichgewichte reduzierten. Es gibt noch eine andere Art, das Leistungsbilanzdefi- zit zu betrachten. Wenn China Waren an die USA liefert, müssen die Amerikaner diese Waren mit Dollars bezahlen. Diese Dollars fließen von den USA nach China.

 

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