Als auf der Welt das Licht ausging - Ein Wissenschafts-Thriller

Tom DeMarco

Als auf der Welt das Licht ausging

Ein Wissenschafts-Thriller

2014

652 Seiten

Format: ePUB

E-Book: €  19,99

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ISBN: 9783446440845

 

1
Senator Hopkins


Chandler Hopkins war ein beachtlicher Mann. Dieser Gedanke ging ihm durch den Kopf, als er in seinem Ankleideraum vor dem Spiegel stand, der in einem Rahmen aus massiver Eiche steckte. Williams trat wortlos hinter ihn und putzte mit einer weichen Bürste die Schultern der neuen dunkelblauen Samtjacke ab, was dem Senator ein zufriedenes Seufzen entlockte. Für die Dauer eines langen Moments war er wunschlos glücklich. Mit Williams, dachte er, hatte alles bestens geklappt. Er war die personifizierte Diskretion, immer da, wenn man ihn brauchte, und nicht da, wenn man nicht gestört werden wollte. Senator Hopkins hatte gern schwarze Hausangestellte, beziehungsweise »Farbige«, wie sie jetzt genannt werden wollten, aus irgendeinem ihm unverständlichen Grund. Ihre Präsenz unterstrich den eigenen liberalen Anspruch und gab dem Haus das angenehme Flair eines Herrensitzes. Er hielt das für angemessen, denn immerhin war er der Präsident einer wichtigen Universität. Senator Hopkins legte großen Wert auf Dinge, die der Würde seines Amts angemessen waren.

Während seiner Zeit in Washington – des »Jahres auf dem Hügel«, wie er es nannte – war er mehrmals im Weißen Haus zu Gast gewesen, und diese Erfahrungen hatten einen dauerhaften Eindruck bei ihm hinterlassen. An Würde herrschte dort gewiss kein Mangel. Wenn man eine Tasse Kaffee wollte, erschien sie einfach und wurde elegant von einem älteren Butler serviert. Es gab silberne Kaffeekannen, gestärkte weiße Servietten und teures Porzellan, indigoblau mit einem dünnen goldenen Streifen. Überall standen Vasen mit Schnittblumen. Die Bibliothek des Präsidenten, wo die meisten Besprechungen stattfanden, enthielt zahlreiche in Saffianleder gebundene Bücher, Wandvertäfelungen aus Nussholz und dick gepolsterte Chesterfield-Sessel und -Sofas. Wenn der Senator danach trachtete, irgendwann einmal Regierungschef zu werden, so nicht aufgrund eines großen politischen Ehrgeizes, sondern wegen der Vorzüge, die das Amt mit sich brachte.

Doch eine weiterführende Karriere in der Politik war Senator Hopkins nicht bestimmt gewesen. Sein »Jahr auf dem Hügel« hatte sich auf die zwölfeinhalb Monate als Nachfolger des verstorbenen Vorgängers im Senat beschränkt, denn bei der nächsten Wahl war sein Sitz verlorengegangen. Na ja, er würde nicht der Präsident der ganzen Nation werden, aber immerhin war er der Präsident von etwas. Seit dem Amtsantritt in Cornell hatte er den größten Teil eines Jahres damit verbracht, alles so zu organisieren wie im Weißen Haus, wie es sich der Würde seiner neuen Position geziemte.

»Heute Abend sind wir dreizehn beim Essen, Williams.«

»Ja, Senator.«

»Doktor Homer Layton ist der Ehrengast. Und natürlich General Buxtehude.«

Williams nickte.

»Albert Tomkis vom State Department wird da sein, außerdem die Professoren Porter und St. Vincent, drei Assistenten von Dr. Layton, junge Physiker, nehme ich an, plus zwei Ehefrauen und die Dekanin der Studentinnen, Maria Sawyer.«

»Ja, Sir.«

Der Senator sah zum leeren Martiniglas auf der Kommode, und Williams füllte es sofort. Ja, Williams war eine kluge Wahl gewesen. Fast wie der wundervolle Butler, den Jack Benny gehabt hatte, Rochester oder so. Williams machte einen ordentlichen Martini und ausgezeichneten Kaffee, und er hielt ihm die anderen Bediensteten vom Hals. Williams war ein Schlüsselelement des Lebens, das an der North University Avenue Nummer 850 endlich akzeptable Formen annahm.

Das Haus an der North University wurde zweifellos der Würde des Präsidenten einer wichtigen Universität gerecht. Es war in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts für die reiche Prominente Jeanie McGraw Fiske gebaut worden. Understatement hatte nie zu Ms. Fiskes Stil gehört, was die Villa mit ihren kostspieligen Vertäfelungen und glitzernden Kronleuchtern deutlich zeigte. Der Kamin im Wohnzimmer war fast drei Meter breit. Am besten war die ganz und gar präsidiale Bibliothek. Beim ersten Anblick des Raums hatte Senator Hopkins das Haus als richtige Residenz für sich erkannt und sofort den Erwerb von zwei roten Chesterfield-Sofas und dazu passenden Polstersesseln geplant.

Zum Zeitpunkt seiner Amtseinsetzung hatte das Fiske-Haus einer Studentenverbindung zur Verfügung gestanden. Mit reichlich Glück war es der Universität gelungen, das Anwesen, Gebäude und Grundstück, in den 1960er-Jahren für nur einen Dollar zu kaufen, und für einen Dollar im Jahr hatte sie das Haus anschließend der studentischen Verbindung vermietet. Der Mietvertrag war im vergangenen Jahr ausgelaufen und Senator Hopkins hatte im Namen der Universität von der Villa Besitz ergriffen, als Ersatz für die heruntergekommene Residenz von Präsident Arthur. Natürlich hatten sich die Studenten und auch einige Ehemalige beklagt – bei jeder vom Universitätspräsidenten getroffenen Entscheidung wurden irgendwelche Klagen laut. Aber schließlich hatte sich der Unmut gelegt und jetzt gehörte das Fiske-Haus ihm.

Unter Küche und Speisezimmer der Villa gab es einen geheimen Raum, zugänglich über eine Treppe, die hinter der Wandvertäfelung des Musikzimmers verborgen war. Die studentische Fraternität hatte den geheimen Raum für geheime Versammlungen benutzt, bei dem geheime Rituale durchgeführt worden waren. Jetzt diente er dem Senator als Büro für »besondere Angelegenheiten«. Bisher war außer ihm niemand dort unten gewesen. Er benutzte den Zugang im Musikzimmer, wenn ihn niemand sah, und schlich die Treppe hinunter, um dann in aller Ruhe über die vom Verteidigungsministerium finanzierten Projekte der Universität zu lesen oder mit General Buxtehude im Pentagon zu telefonieren. Für diese Anrufe benutzte er ein rotes Telefon. Wegen der Sicherheit hatte er das Telefon selbst angeschlossen, als eine Erweiterung des Hauptanschlusses.

Von unten kamen Geräusche, die darauf hindeuteten, dass die ersten Gäste eintrafen. Kein Grund zur Eile. Hopkins war mit seinen Vorbereitungen fertig, doch es kam auf den richtigen Zeitpunkt für seinen Auftritt an. Die Gäste sollten Gelegenheit erhalten, einen ersten Drink zu genießen, bevor er bei ihnen erschien. Williams hatte eine Gesangsgruppe der Universität engagiert, die zu Beginn des Abends singen sollte, und aus dem Wohnzimmer klang bereits Musik empor. Der Senator hatte das Programm selbst festgelegt und wusste daher, dass es mit dem Universitätslied »Cornell Victorious« enden würde. Er beabsichtigte, bei der letzten Strophe die Bogentreppe herunterzukommen.

*

Leider wurde sein großer Auftritt dadurch ruiniert, dass einige Gäste noch nicht eingetroffen waren. Von denen, auf die es ankam, hatte sich wenigstens General Buxtehude eingefunden – mit einem Drink in der Hand stand er am Kamin. Senator Hopkins ging direkt zu ihm und überhörte die Worte, die Dekanin Sawyer an ihn richtete, ein »Guten Abend« oder etwas in der Art. Dem General schenkte er ein geübtes Lächeln, die Art von Lächeln, mit der Ronald Reagan Wärme mit ernster Sorge dahinter zum Ausdruck gebracht hatte.

»Freut mich, Sie zu sehen, Gordon.«

»Ebenfalls, Chandler.«

Hopkins schüttelte dem General die Hand, fügte dabei seine linke Hand hinzu und sah ihm fest in die Augen. »Wie ich sehe, hat Williams Ihnen bereits einen Drink gebracht.«

»Oh, ja.«

General Buxtehude war fast dreißig Zentimeter größer als Hopkins und nahezu kahlköpfig. Wenn er den Mund öffnete, sah man nicht nur die oberen Zähne, sondern auch das Zahnfleisch darüber. Diesmal trug er einen zivilen Anzug, aber auf eine Weise, die ihn wie eine Uniform ohne Rangabzeichen aussehen ließ. Seine Haltung wies in aller Deutlichkeit darauf hin, dass er ein hochrangiger Offizier war. Er war durch und durch ein Mann des Militärs, bis auf das rosarote obere Zahnfleisch, das diesen Eindruck ein wenig störte.

»Uns erwartet ein interessanter Abend, Gordon. Dr. Laytons Forschungsgruppe wird uns Gesellschaft leisten, was Ihnen Gelegenheit gibt, einen Eindruck von seinen jungen Mitarbeitern zu gewinnen. Aus den Berichten kennen Sie sie bereits, aber ich glaube, heute begegnen Sie ihnen zum ersten Mal persönlich. Interessante Leute.«

»Bestimmt, zweifellos.« Der General wirkte verdrießlich. »Chandler, ich will nicht verhehlen, dass ich in Hinsicht auf dieses Simula-7-Projekt Bedenken habe. Erhebliche Bedenken. Ich meine, an Laytons akademischen Referenzen gibt es nichts auszusetzen …«

»Wohl kaum. Den Enrico Fermi Award bekommt man nicht ohne einige herausragende Denkleistungen. Ich wage zu behaupten, dass es in den Physik-Fakultäten aller Universitäten weit und breit keinen klügeren Kopf gibt.«

»Mag sein. Mir geht es nicht um seinen Kopf, sondern um …«

»Guten Abend, Senator Hopkins.« Die Worte stammten von der unerträglichen Dekanin Sawyer.

»Ja. Guten Abend, Maria. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann …«

»Ich wollte nur guten Abend sagen und mich für die Einladung in einen so illustren Kreis bedanken. Ich bin Maria Sawyer«, sagte sie und streckte ihre Hand dem General entgegen.

Senator Hopkins erfüllte seine Pflicht. »Oh, ja. Das ist General Buxtehude von den Joint Chiefs. Maria Sawyer, die Dekanin unserer Frauen.«

Dem General schien die Störung nichts auszumachen. »Dekanin Sawyer …« Sein Lächeln war ebenso warm wie ihres. Buxtehude wusste Schönheit zu schätzen und Dekanin Sawyer war noch immer eine schöne Frau, trotz ihrer gut sechzig Jahre.

»Ja, nun, ich lasse Sie beide jetzt allein und kümmere mich um...

 

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