Respekt - Die Geschichte einer gelebten Lean-Kultur Roman

Freddy Balle, Michael Balle

Respekt

Die Geschichte einer gelebten Lean-Kultur Roman

2017

220 Seiten

Format: PDF, ePUB

E-Book: €  29,99

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ISBN: 9783446453104

 

01 Kapitel eins:
Führe von unten

Jane Delaney hatte die Nase voll.

„Es reicht!“, sagte die Chefin von Southcape Software zu den Vertretern von Nexplas, ihrem Hauptkunden. „Es reicht wirklich. Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie viel Arbeit wir in dieses Projekt gesteckt haben? Was wir alles bereits für Sie gemacht haben? Und das Einzige, was Ihnen dazu einfällt, ist, pausenlos nur Probleme zu suchen und unsere Arbeit zu kritisieren. Wir erwarten von Ihnen etwas mehr Respekt.“

Sie sammelte sich einen Moment im Versuch, ihr Team in Schutz zu nehmen. „Es ist mir klar, dass Sie der Kunde sind. Aber ich kann nicht zulassen, dass Sie uns derart behandeln. Wir werden das Problem lösen. Wir bei Southcape halten, was wir versprechen. Wir brauchen allerdings ein bisschen mehr Zeit dazu.“

Andrew Ward, Vice President Europe von Nexplas, fixierte sie unverwandt. Seit sechs Monaten arbeiteten sie jetzt an diesem Projekt und hatten noch nicht einmal den ersten Meilenstein erreicht. Wenn sich die Dinge nicht dramatisch verbessern würden – und zwar umgehend –, dann würde sich nicht nur das Projekt, sondern auch die gesamte Zusammenarbeit erledigt haben. Sie mussten das klären.

„Jane“, sagte er bestimmt, „wir haben ein Problem, und ich glaube nicht, dass wir das in der Runde hier lösen. Können wir in Ihr Büro gehen?“

__________

Die zwei standen sich gegenüber, sie hinter ihrem Schreibtisch, er davor.

„Das Problem sind Sie“, sagte Ward.

„Wie ...“, fuhr Delaney auf, verbiss sich aber den Rest ihrer Antwort. Er war der Kunde, und die Sache hier lief nicht besonders gut.

„Was wollen Sie damit sagen?“, versuchte sie es erneut.

„Das Problem sind Sie“, wiederholte Ward mit einer Ruhe, die jeden auf die Palme gebracht hätte.

„Ach. Nach all den Vorträgen, wie wichtig Ihnen die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Ihren Lieferanten ist, schieben Sie nun einfach die Schuld auf uns?“, fragte Delaney, riss sich dann aber zusammen und fügte hinzu: „Wir mögen ein paar Kommunikationsprobleme haben, das mag sein, aber in meinen Augen gehören dazu immer zwei.“

„Ich meine nicht Ihr Unternehmen“, korrigierte er sie, „ich meine Sie als Person. Sie sind doch hier die Chefin.“

Sie starrte ihn ungläubig an.

Sein Blick war offen, als er fortfuhr. „Als Vorgesetzte sind wir dafür verantwortlich, dass unsere Leute Erfolg haben. Und daraus erwächst eine Pflicht für uns als Vorgesetzte. Es ist unsere Aufgabe, die Details ihrer Arbeit so gut zu kennen, dass wir die Hindernisse auf dem Weg zum erfolgreichen Abschluss beiseiteräumen können: Sicherheitsprobleme, Überlastung, unklare Abläufe, schlechtes Material, nicht funktionierende Werkzeuge und so weiter und so fort. Das ist unsere Aufgabe.“

„Wie kommen Sie darauf, dass ...“

„Schauen Sie, ich glaube, Sie müssen herausfinden, was ein Kunde wirklich will. Und Sie müssen wissen, was Ihre Teams den ganzen Tag machen. Damit Sie ihnen dabei helfen können, Erfolg zu haben, und wir endlich konstruktiv zusammenarbeiten können.“

Er schwieg, während sie vor Wut über seine Belehrung kochte. Sie widerstand dem Impuls, ihm die passende Antwort zu geben. Es war ihr sehr bewusst, dass eine erfolgreiche Frau immer Gefahr lief, als zu barsch oder zu emotional abqualifiziert zu werden. Sie setzte sich und schaute ihn abwartend an.

„Es ist mir schon klar, dass das recht hart klingt, und es tut mir auch leid. Aber ich muss das sagen“, fuhr er fort. „Ich bin heute gekommen, um zu sehen, was mit dem Projekt los ist, und nach der Besprechung, die wir gerade miterleben durften, bin ich so weit, die ganze Sache abzublasen. Das hat mir mein Einkaufsleiter übrigens auch schon empfohlen. Das war heute mehr ein Ringkampf als ein konstruktives Zusammenarbeiten. Eine derartige Verschwendung widerspricht unserem Bekenntnis zu wertschöpfender Arbeit.“

„Aber ...“

„Weil das Projekt aber für uns sehr wichtig ist“, fuhr er bedächtig fort, „und weil wir nichts unversucht lassen wollen, um uns gegenseitig besser zu verstehen, habe ich um diese Unterredung gebeten. Ich stehe jetzt also hier und versuche, mich verständlich zu machen. Die Frage ist: Hören Sie mir auch zu?“

Sie ärgerte sich über seine Arroganz, aber vermutlich war das eine Eigenschaft, die man zum Überleben in der Automobilindustrie brauchte. Sie musste zugeben, dass er trotz allem nicht anmaßend wirkte. Was er sagte, war vielleicht unhöflich, und es mag auch herablassend klingen, aber wie er so dastand und seine Schuhe betrachtete, wirkte er eher verlegen.

Warum sahen die aber heutzutage auch alle so jung aus? Sie hätte wetten können, dass er höchsten 40 war, ein schmaler Junge mit zurückgehendem schwarzem Haar und Ringen unter seinen klaren, blauen Augen. Er war der Vice President Europe von Nexplas, einem großen Automobilzulieferer, und er hatte sich die Mühe gemacht, sie aufzusuchen. Das war schon ungewöhnlich – normalerweise hatte sie nur mit IT-Leuten zu tun und fast nie mit dem Topmanagement.

Southcape konnte sich den Verlust eines weiteren Kunden wahrhaftig nicht leisten. Du schaffst das, sagte sie sich. Wahre das Gesicht und rette den Auftrag.

„Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, meine Person wäre das Problem?“, fragte sie in einem versöhnlicheren Ton. „Ich bin erst in dieses Projekt involviert, seit Peter Rodriguez unser Unternehmen einfach verlassen und damit uns auch etwas hängen lassen hat.“

„Das ist mit ein Grund, warum wir gerne weiter mit Ihnen arbeiten würden – wir haben gerne mit Peter gearbeitet, und nach allem, was ich von meinen Leuten gehört habe, hat er wirklich sehr gute Arbeit geleistet. Er hat uns auch rechtzeitig darüber informiert, dass er sich eine neue Stelle suchen will, weil er nicht länger bei Southcape bleiben wollte.“

„Er hat was?“, fing sie an, völlig fassungslos. „Er hat hinter meinem Rücken ... er hat Ihnen gesagt, dass er wegen mir gehen will? Das ist ...“

„Er sagte nicht explizit, dass er wegen Ihnen gehen würde“, unterbrach er sie.

„Und Sie ...“

„Ja. Wir wussten, was passieren wird, und haben es nicht verhindert – das war unser Fehler. Wir haben nicht alles getan, um unsere Zusammenarbeit zu verbessern, und vielleicht ist das auch mit ein Grund, warum wir dieses Gespräch führen“, fuhr er fort, und sein Blick ließ vermuten, dass er sich auch nicht so wohl in seiner Haut fühlte. „Aber Sie sind die Chefin, und das ist der entscheidende Punkt. Letztendlich hat es etwas mit Ihnen zu tun.“

„Bitte? Vielleicht ist Ihnen noch nicht aufgefallen, dass wir es mit sich ständig ändernden und leider nur im Ausnahmefall verständlichen Anforderungen zu tun haben. Und damit, dass die von uns geleistete Arbeit – gute Arbeit – nicht akzeptiert wird. Und jetzt soll plötzlich alles mein Fehler sein“, sagte sie und fragte sich dabei, ob sie nicht zu weit ging, ihre Firma damit zu verteidigen, dass sie Nexplas Vorwürfe machte.

„Ja“, sagte er ruhig. „Aber Sie dürfen mir glauben, dass ich das Gefühl auch recht gut kenne – mein CEO hat mir vor langer Zeit einmal genau das Gleiche gesagt, und das habe ich ihm ziemlich übel genommen. Denn wieso sollte ausgerechnet ich das Problem sein? Es funktionierte doch auch sonst nichts.

Aber lassen Sie mich versuchen, Ihnen das zu erklären. Es hat letztendlich mit Respekt zu tun, wie Sie es ja auch gesagt haben. Für uns bei Nexplas hat Respekt eine sehr große Bedeutung. Wir wollen unsere Firma weiterentwickeln, indem wir unsere Mitarbeiter weiterentwickeln, das ist unsere Strategie. Wir nennen das: Führen mit Respekt.

Wir sind davon überzeugt, dass wir unsere Ziele erreichen werden, indem wir unsere Mitarbeiter entwickeln. Führen mit Respekt ist allerdings eine ganz praktische Sache, es sind Übungen – eine Sammlung von Maßnahmen und Methoden –, die uns helfen, es zu tun, anstatt nur darüber zu reden.

Wir respektieren die Erfahrung und die Kreativität aller Menschen, genauso wie ihr Recht, sich sicher zu fühlen und Erfolg zu haben, seien es Kunden, Angestellte oder Lieferanten“, er zählte die Gruppen an seinen Fingern ab, während er redete.

„Wir fördern alle darin, Probleme zu lösen, und zwar gemeinsam, indem wir alles daransetzen, dass jeder den Standpunkt des jeweils anderen versteht.

Das garantiert unsere Qualität, unsere Produktivität und unsere Flexibilität, während wir ständig daran arbeiten, Unzufriedenheit und nicht wertschöpfende Tätigkeiten zu eliminieren. Letztendlich bedeutet Produktivität Wohlstand.

Wir teilen Erfolge und wir belohnen Mitarbeit und Eigeninitiative. Damit wird das Thema Respekt glaubwürdig und damit sichern wir unser langfristiges Wachstum. Wie wollen Sie einen Kunden zufriedenstellen, wenn Ihre Mitarbeiter nicht zufrieden sind?

Und das war es schon“, sagte er dann und betrachtete seine Hände.

„Das funktioniert bei Weitem nicht immer, und wir kämpfen jeden Tag damit, das durchzuhalten. So was ist nie leicht, und von alleine geht schon mal gar nichts. Vor allem für den CEO, der das Ganze führen muss, ist das eine echte Schinderei. Aber es ist der entscheidende Punkt. Wenn Sie nicht...

 

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