Fertigungstechnik für Wirtschaftsingenieure

Reinhard Koether, Alexander Sauer

Fertigungstechnik für Wirtschaftsingenieure

2016

492 Seiten

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ISBN: 9783446449909

 

1 Grundlagen
1.1  Aufgaben der Fertigungstechnik

Was ist Fertigungstechnik?

Ziel jedes Unternehmens ist die Herstellung von Waren und Dienstleistungen. Waren werden produziert durch:

  • Verfahrenstechnik: Herstellung formloser Stoffe (Bild 1.1)

  • Energietechnik: Umwandlung und Verteilung von Energie (Bild 1.2)

  • Fertigungstechnik: Herstellung von Werkstücken mit definierter Form und definierten Eigenschaften

 

Bild 1.1 Verfahrenstechnische Anlage zur Herstellung von TDI, eines Vorprodukts von Polyurethan (BASF SE)

 

Bild 1.2 Energietechnik ist eine besonders anlagenintensive Produktion: Maschinenhaus eines Kraftwerks mit Kraft-Wärme-Kopplung (Vattenfall)

Fertigungstechnik betrachtet nur einen Teilaspekt industrieller Fertigung. Zur Fertigung gehören:

  • Logistik: Gestaltung des Materialflusses und des begleitenden Informationsflusses.

  • Personal: Organisation, Qualifikation und Führung der Mitarbeiter.

  • Fertigungstechnik: Auswahl der Fertigungsverfahren und Festlegen der Verfahrensparameter.

Die Industrielle Fertigungstechnik ist eine Ingenieurdisziplin.

  • Durch Berechnungen ist das Fertigungsergebnis

    • prognostizierbar,

    • planbar,

    • optimierbar (im Rahmen der Genauigkeit der zugrundeliegenden Methoden).

  • Für Detailoptimierungen sind ergänzende Versuche nötig.

Die Industrielle Fertigung zeichnet sich aus durch:

  • hohe Kapitalausstattung für

  • große Produkte (z. B. Anlagen),

  • große Stückzahlen (z. B. Konsumgüter),

  • arbeitsteilige Fertigung.

Konsequenzen sind:

  • Notwendigkeit der Planung, deshalb Ingenieurarbeit,

  • Notwendigkeit der Organisation der Arbeitsteilung,

  • Notwendigkeit, die arbeitsteiligen Prozesse durch Materialfluss zu verbinden; die Gestaltung des Materialflusses ist Aufgabe der Logistik.

Bedeutung der Fertigungstechnik

Die fertigungstechnische Industrie (Beispiel: Maschinenbau)

  • erwirtschaftet einen höheren Umsatz je Beschäftigten als das vergleichbare Handwerk, weil ein Industriebetrieb mehr Kapital einsetzt und dadurch höhere Produktivität sichert. Wegen des hohen Kapitaleinsatzes in der chemischen Industrie und der Energietechnik müssen dort die erwirtschafteten Umsätze je Beschäftigten noch höher sein (Bild 1.3).

     

    Bild 1.3 Umsatz je Beschäftigten im Jahr 2013 in beispielhaft ausgewählten Branchen der Produktionstechnik; Daten: (Statistisches Bundesamt, 2015)

  • Sie benötigt eine moderate Kapitalausstattung (Bild 1.4),

    • mehr als Dienstleistungsbetriebe,

    • weniger als verfahrenstechnische und energietechnische Betriebe.

     

    Bild 1.4 Durchschnittliche Investitionen je Arbeitsplatz im Jahr 2012 in beispielhaft ausgewählten Branchen der produktionstechnischen Industrie; Daten: (Institut der deutschen Wirtschaft, 2015)

  • Sie bietet deshalb eine breite Vielfalt von Betriebsgrößen

    • von der Garagenfirma

    • bis zum Weltkonzern wie Siemens oder Daimler.

  • Sie bietet relativ viele Arbeitsplätze: knapp 20 % der Beschäftigten in Deutschland haben ihren Arbeitsplatz im verarbeitenden Gewerbe (Bild 1.5), davon etwa ein Drittel in typischen fertigungstechnischen Betrieben, wie Maschinen- und Fahrzeugbau. Allerdings nimmt der Anteil der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe ab. Gründe sind:

    • Auslagerung von Dienstleistungen (z. B. EDV-Dienstleistungen) („Unternehmensdienstleistungen“ im Bild 1.5)

    • Verlagerung von Produktion in ausländische Standorte

  • Sie erzeugt zusammen mit anderen Branchen des produzierenden Gewerbes den wesentlichen Beitrag zum Exportüberschuss Deutschlands und ist damit die Grundlage für den Wohlstand einer breiten Bevölkerung (vgl. dazu z. B. [Rürup; Heilmann]).

  • Sie kann ihre Produkte leicht exportieren und steht deshalb im internationalen Wettbewerb (durchschnittliche Steigerung der Arbeitsproduktivität zwischen 2005 und 2014 um 2 % pro Jahr in der Automobilindustrie, 0,3 % pro Jahr im Maschinenbau, Daten: [Statistisches Bundesamt 2016]).

     

    Bild 1.5 Anteil der Erwerbstätigen in Wirtschaftsbereichen in Deutschland im Jahr 2014; Daten: (Institut der deutschen Wirtschaft, 2015)

Im internationalen Vergleich ist in Deutschland der Anteil des produzierenden Gewerbes an der Wirtschaftsleistung (genauer: der Anteil an der Bruttowertschöpfung) hoch (Bild 1.6). In anderen Industrieländern hat die Bedeutung der Produktion gegenüber den Dienstleistungen abgenommen. Nur in den einzelnen Niedriglohnländern Europas und in einigen Schwellenländern ist der Anteil des produzierenden Gewerbes noch höher.

 

Bild 1.6 Anteil des produzierenden Gewerbes an der Brutto-Wertschöpfung einer Volkswirtschaft ‒ ausgewählte Beispiele für Industrieländer, europäische Niedriglohnländer und Schwellenländer (Statistisches Bundesamt, 2015)

Konsequenzen für Wirtschaftsingenieure:

Das Wirtschaftsingenieurstudium qualifiziert nicht vorrangig für typische Dienstleistungsbranchen wie Handel, Gastronomie oder Finanzdienstleistungen; auch im öffentlichen Dienst sind nur wenige Wirtschaftsingenieure beschäftigt.

  • Mit hoher Wahrscheinlichkeit finden Wirtschaftsingenieure ihre spätere Tätigkeit in einem fertigungstechnischen Betrieb

    und/oder

  • Wirtschaftsingenieure pflegen Kunden- und Lieferantenbeziehungen zu einem fertigungstechnischen Betrieb.

Beispielhafte Berufsfelder für Wirtschaftsingenieure, bei denen fertigungstechnisches Wissen vorteilhaft sein kann:

  • Arbeitsvorbereitung, Fertigungsplanung,

  • Qualitätssicherung,

  • Fertigungslogistik,

  • Einkauf,

  • Controlling,

  • Investitionsplanung,

  • Marketing und Verkauf von Investitionsgütern.

1.2  Hauptgruppen der Fertigungsverfahren nach DIN 8580

Die DIN 8580 gliedert die Fertigungsverfahren in 6 Hautgruppen (Bild 1.7):

 

Bild 1.7 Fertigungsverfahren nach DIN 8580

  • Urformen z. B. Gießen (Bild 1.8), Sintern

  • Umformen z. B. Walzen, Schmieden

  • Trennen z. B. Fräsen, Brennschneiden

  • Fügen z. B. Schrauben, Schweißen (Bild 1.9)

  • Beschichten z. B. Lackieren, Galvanisieren

  • Stoffeigenschaften ändern z. B. Härten

     

    Bild 1.8 Urformen, Fertigungsverfahren Gießen: Sandguss mit verlorener Form (Hering)

     

    Bild 1.9 Fügen, Fertigungsverfahren Schweißen: Widerstandspunktschweißen (Hering)

Wegen der breiten Anwendung und der wirtschaftlichen Bedeutung konzentriert sich das vorliegende Buch auf die Metallbearbeitung und deren Maschinen. In den Kapiteln 2 bis...

 

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