Funktionsorientiertes Toleranzdesign - maßgeschneiderte Präzision im Maschinen-, Fahrzeug- und Gerätebau

Martin Bohn, Klaus Hetsch

Funktionsorientiertes Toleranzdesign

maßgeschneiderte Präzision im Maschinen-, Fahrzeug- und Gerätebau

2016

224 Seiten

Format: PDF, ePUB

E-Book: €  28,99

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ISBN: 9783446450103

 

7 Bezüge

Bezüge werden nach Norm verwendet, um den Ort und/oder die Richtung eines Bauteils festzulegen, oder sie dienen dazu, den Ort und/oder die Richtung einer Toleranz festzulegen.

7.1  Begrifflichkeiten

Die Normensprache ist eine sehr abstrakte und regelbasierte Sprache. Bevor auf die Begrifflichkeiten von Bezügen eingegangen werden kann, müssen zuerst noch die grundlegenden Geometriebegriffe eingeführt werden. Bild 7.1 zeigt an einem Beispiel viele der Begriffe, die im Zusammenhang mit Bezügen verwendet werden.

 

Bild 7.1 Geometriebegrifflichkeiten bei Bezügen

Die folgende Tabelle 7.1 fasst die wesentlichen Begriffsdefinitionen der DIN EN ISO 17450-1 zusammen.

Tabelle 7.1 Begriffsdefinitionen für Geometrieelemente nach DIN EN ISO 17450-1

Begriff

Definition

geometrisches Element

Punkt, Linie, Fläche oder Volumen

ideales Geometrieelement

durch parametrisierte Gleichung definiertes Geometrieelement

Situationselement

Punkt, Gerade, Ebene oder Schraubenlinie zur Bestimmung von Lage oder Orientierung eines geometrischen Elements

Nenngeometrieelement

ideales Geometrieelement, das in der technischen Produktdokumentation dokumentiert ist

integrales Geometrieelement

geometrisches Element, das zur wirklichen Oberfläche des Werkstücks gehört

abgeleitetes Geometrieelement

geometrisches Element, das physikalisch nicht auf der wirklichen Oberfläche des Werkstücks vorhanden ist

In Ergänzung dazu zeigt Tabelle 7.2 die weiteren Begriffsdefinitionen der DIN EN ISO 5459.

Tabelle 7.2 Weitere Begriffsdefinition für Geometrieelemente nach DIN EN ISO 5459

Begriff

Definition

assoziiertes Geometrieelement

ideales Geometrieelement, das aus einem oder mehreren realen oder extrahierten Geometrieelementen gebildet wird

Auf Basis dieser Geometriebegriffe können nun die Begriffe zu Bezügen definiert werden. Tabelle 7.3 fasst diese wesentlichen Begriffsdefinitionen der DIN EN ISO 5459 zusammen.

Tabelle 7.3 Begriffsdefinitionen für Bezüge nach DIN EN ISO 5459

Begriff

Definition

Bezug

ein oder mehrere Situationselemente eines oder mehrerer Geometrieelemente, die mit einem oder mehreren realen integralen Geometrieelementen assoziiert sind, welche ausgewählt werden, um den Ort und/oder die Richtung einer Toleranzzone oder eines idealen Geometrieelements festzulegen

Bezugselement

reales (nicht ideales) integrales Geometrieelement, welches zur Bildung eines Bezugs verwendet wird
ein Bezugselement kann eine vollständige Fläche, ein Teil dieser Fläche oder aber ein Längen-Größenmaßelement sein

Bezugsstelle

Teil eines Bezugselements, welches nominell ein Punkt, eine Strecke oder eine Fläche sein kann

   

Wenn in der Norm von Linie gesprochen wird, ist nicht zwingend eine Gerade gemeint. Eine Linie kann eine beliebige Kurve sein.

7.2  Definition eines Bezugs

Die DIN EN ISO 5459 definiert einen Bezug als theoretisch genaues Geometrieelement (Ebene, Gerade, Punkt oder eine Kombination), auf das die Toleranzen anderer Geometrieelemente bezogen werden können.

Bezüge können sowohl aus Bezugselementen als auch aus Bezugsstellen gebildet werden. Bild 7.2, in Anlehnung an die DIN EN ISO 5459, zeigt die Symbole.

 

Bild 7.2 Symbole für Bezüge

Die Buchstaben D und A5 stehen nur exemplarisch in den Symbolen und sind in der Zeichnung durch die korrekten Buchstaben bzw. Zahlen zu ersetzen. Generell werden für Bezüge Großbuchstaben verwendet. Bild 7.3 zeigt den Zusammenhang zwischen Bezugselement und Bezug.

 

Bild 7.3 Bezugselement und Bezug

Die Mantelfläche ist in beiden Fällen das Bezugselement. Im linken Beispiel ist das Bezugselement gleichzeitig der Bezug. Durch das Antragen des Bezugssymbols an den Maßpfeil im rechten Beispiel wird das abgeleitete Element zum Bezug.

Ein Bezug kann auch aus Bezugsstellen gebildet werden. Bild 7.4 zeigt dies exemplarisch.

 

Bild 7.4 Bezugsstellen und Bezug

Entsprechend DIN EN ISO 5459 werden sowohl die Bezugsstellen Z1, Z2, Z3 als auch das Bezugselement Z festgelegt. Darüber hinaus müssen die Bezugsstellen noch zum Bezug zusammengefasst werden. Da sich die Norm auf eine Zeichnung und nicht auf einen 3D-Datensatz bezieht, müssen noch die Theoretisch Exakten Dimensionen (TED) nach DIN ISO 7083 ergänzt werden. Der Grund liegt darin, dass im 3D-Datensatz die Koordinaten aller Bezugsstellen definiert/messbar sind, in der Zeichnung müssen die Bezugsstellen zueinander mittels TEDs definiert werden.

Der Übersichtlichkeit halber fehlen in den meisten Darstellungen in diesem Buch die theoretisch exakten Dimensionen. Das Kapitel 13.2.2 zeigt die korrekte Anwendung der TEDs.

Ein weiterer Vorteil in der Definition von Bezugsstellen im 3D-Datensatz liegt in ihrer logischen Verknüpfung. Aus der Darstellung in Bild 7.5 ist erkennbar, dass beim Anklicken des Bezugs alle Bezugsstellen markiert werden.

 

Bild 7.5 Verknüpfung von Bezugsstellen und Bezug im 3D-CAD

Daher verzichten einige CAD-Programme darauf, die Bezugsstellen, wie in Bild 7.4 dargestellt, zusammenzufassen.

Nach DIN EN ISO 5459 müssen alle Bezugsstellen eines Einzelbezugs auf einem Bezugselement und somit auf einem realen Geometrieelement liegen. Darüber hinaus müssen sie zusammengefasst werden.

Wenn ein Bezug aus zwei Bezugselementen gebildet werden soll, stellt die DIN EN ISO 5459 die Möglichkeit eines gemeinsamen Bezugs zur Verfügung. Der gemeinsame Bezug ist im Toleranzrahmen (s. ausführlicher in Kapitel 8.2.1) zu erkennen und wird mittels "-" zwischen den einzelnen Bezügen gekennzeichnet. Für den gemeinsamen Bezug werden die Einzelbezüge vermittelt.

 

Bild 7.6 Gemeinsamer Bezug

In diesem Beispiel (Bild 7.6) ist der gemeinsame Bezug die Mittelebene zwischen den Bezugsebenen A und B.

7.3  Verwendung von Bezugsstellen

Generell stellt sich die Frage bezüglich der Vor- und Nachteile der Verwendung von Bezugsstellen.

 

Bild 7.7 Bezugselemente mit und ohne Bezugsstellen

In der theoretisch exakten Konstruktion aus Bild 7.7 spielt es keine Rolle, in der Realität ist das Bezugselement jedoch mit Abweichungen behaftet. Daher ist die Grundfläche auch mit der Toleranz Profil einer Fläche toleriert. Das Bezugselement, in diesem Fall die Grundfläche, liegt in der Realität bei einem starren Bauteil immer an drei Punkten auf. Diese drei Punkte liegen bei jedem Teil fertigungsbedingt an verschiedenen Stellen. Dies bedeutet, dass das Bauteil jedes Mal ein bisschen anders verkippt ist. Dies hat Einfluss auf alle Messwerte an den anderen tolerierten Elementen des Bauteils. Zur Analyse ist daher die Verwendung von Bezugsstellen empfehlenswert (s. Bild 7.8).

 

Bild 7.8 Bezüge und Bezugsstellen

Es kann keine generelle Empfehlung, immer Bezugselemente oder Bezugsstellen zu wählen, geben, da dies von vielen Parametern abhängig ist. Bild 7.9 gibt Hinweise, wie die Entscheidung gefällt werden kann.

 

Bild 7.9 Wahl von Bezugselement oder Bezugsstellen

Bezugsstellen bieten den Vorteil einer guten Reproduzierbarkeit, erfordern Aufnahmen. Die Aufnahmen müssen im Herstellungsprozess verwendet werden. Bei der Messung muss das Bauteil entweder real in der Messaufnahme ausgerichtet sein oder die Ausrichtung muss virtuell an den Bezugsstellen (rechnerische Ausrichtung) erfolgen.

Durch die Vergabe von Bezugsstellen steigt die Vergleichbarkeit von Messungen. Dies ist insbesondere bei einem Vergleich zwischen eigenen Messungen und denen des Lieferanten wichtig.

7.4  Bezugsstellen bei nicht eigensteifen Bauteilen

Nicht eigensteife, also elastische Bauteile verformen sich bereits unter Eigengewicht. Dies zeigt Bild 7.10.

 

Bild 7.10 Verformung bei der Auflage auf Bezugsstellen

Das starre Bauteil verformt sich nicht bei der...

 

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